AKTEN
Bundestag 1990 – 1992
Akten bilden eine Grundlage für die Aufarbeitung von Diktaturen. Nach Herstellung der deutschen Einheit debattierte der Bundestag daher u.a. über gesetzliche Regelungen für den Umgang mit den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und den Akten der Parteien und Massenorganisationen der DDR.
Auf dem Weg zum Stasi-Unterlagen-Gesetz
Der Bundestag widmete sich im Verlauf des Jahres 1991 dem im Einigungsvertrag geforderten Gesetz zum Umgang mit den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bzw. Amts für Nationale Sicherheit (AfNS). Ziele der Gesetzgebung sollten einerseits ein Auskunftsrecht der Betroffenen über die zu ihrer Person gesammelten Informationen sein, andererseits sollte die politische, historische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS/AfNS ermöglicht werden. Dafür war eine neue gesetzliche Regelung notwendig, da das Bundesarchivgesetz durch seine Sperrfristenregelung diesem historischen Fall nicht gerecht werden und diesen Zielen nicht nachkommen konnte.
Die Beratungen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz lagen im Zuständigkeitsbereich des Innenausschusses. Am 24. April 1991 konstituierte sich innerhalb dieses Ausschusses der „Unterausschuss zur Bewältigung der Stasi-Vergangenheit“ mit Vertreterinnen und Vertretern der Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD. Da sowohl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als auch PDS/Linke Liste nicht über die nötige Fraktionsstärke verfügten, waren für sie keine Plätze im Unterausschuss vorgesehen. Die CDU/CSU trat freiwillig einen Sitz für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 16. Juli 1991 erhielten dann beide Gruppen jeweils einen regulären Platz im Unterausschuss. Durch diese Konstellation war die Gruppe PDS/Linke Liste zwischen März und Juli 1991 von der Gesetzgebungsfindung ausgeschlossen. Von den anderen politischen Kräften wurde dieser Umstand nicht bedauert. Insbesondere die Bundestagsfraktion CDU/CSU sah in den Vertreterinnen und Vertretern der Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) Verantwortliche für die Handlungen des MfS/AfNS.
Grundsätzlich wurde im Gesetzgebungsverfahren eine gemeinsame Lösung, getragen von den Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD sowie der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, angestrebt. Diesem Ideal wurde man jedoch nicht ganz gerecht: So kam es zu einem gemeinsamen Entwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP. Auf diesem Entwurf basierend, legte später auch die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erarbeitete einen eigenen Entwurf, der auf den Vorstellungen der Bürgerkomitees zur Auflösung des MfS basierte. Dieser Entwurf fand Unterstützung durch die Gruppe PDS/Linke Liste. Alle Entwürfe wurden erstmals am 13. Juni 1991 in der Plenarsitzung des Bundestags beraten.
1991 waren sich alle politischen Akteurinnen und Akteure der Bedeutung der Akten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur bewusst. Worin bestand diese Bedeutung? Auf Grundlage der Akten konnten sowohl die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen als auch die Entschädigung und Rehabilitierung von Opfern eingeleitet werden. Außerdem konnten Personen auf ihre Tätigkeit für das MfS/AfNS überprüft werden. Dies bildete die Grundlage für Fragen des Elitenwechsels. Neben diesen Aspekten der Aufarbeitung ist nach dem Ende von Diktaturen auch die Aussöhnung der Gesellschaft ein zentrales Ziel von Demokratien. Dieses Thema – das nun in den Beratungen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz erneut auf der Tagesordnung stand – debattierte der Bundestag 1989 bereits im Zuge der Zugangsregelungen zu den NS-Akten des Berlin Document Centers.
Bezüglich der gesetzlichen Regelung zu den Unterlagen des MfS/AfNS waren allerdings noch einige Fragen offen. Bereits vor der deutschen Einheit gab es in Ost und West Stimmen, die einen weitgehenden Verschluss oder gar eine Vernichtung der Akten forderten. Man sah in dem Material, das nach bundesdeutschem Recht auf rechtswidrige Art und Weise zustande gekommen war, Zündstoff für die Gesellschaft und befürchtete Racheakte ehemaliger Bespitzelter bzw. Repressierter gegenüber ihren Peinigern. Andere Stimmen vertraten die Ansicht, dass nur durch eine Offenlegung eine Verarbeitung der Vergangenheit und eine Versöhnung der Gesellschaft erzielt werden könnte. Das Prinzip größtmöglicher Transparenz, als demokratisches Ideal, sah man durch die Öffnung der Akten verwirklicht. Gleichzeitig mussten jedoch die Persönlichkeitsrechte der Opfer bzw. Betroffenen und in den Akten erwähnten Dritten geschützt werden. Selbstverständlich waren auch die Persönlichkeitsrechte der ehemaligen MfS/AfNS-Angehörigen zu schützen. Bedenken bezüglich des innergesellschaftlichen Friedens gab es daher auch hinsichtlich der Nennung von Klarnamen der offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS/AfNS, das heißt konkret über die Frage: Können Personen, die von der Stasi überwacht wurden, erfahren, wer sie bespitzelt hat, oder sollten diese Namen anonym bleiben? Insbesondere vonseiten der Gruppe BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN und der SPD-Bundestagsfraktion wurde für eine namentliche Nennung der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS/AfNS eingetreten, da nur so eine persönliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte für die Betroffenen möglich gemacht werden könnte. Sie fand Eingang sowohl in den Gesetzentwurf des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als auch – trotz Bedenken vonseiten der CDU/CSU – in den interfraktionellen Gesetzentwurf.
Uneinigkeit zwischen den Fraktionen und Gruppen des Bundestags herrschte auch hinsichtlich der Frage, welchen Zugriff Geheimdienste, wie der Verfassungsschutz, auf die Unterlagen des MfS haben dürfen. Der interfraktionelle Gesetzentwurf sah in § 19 vor, dass zwar die personenbezogenen Unterlagen über Betroffene der Stasi-Überwachung für den Verfassungsschutz gesperrt sind, andere Akten betreffend die Spionage oder Spionageabwehr sowie den Extremismus und Terrorismus sollten für den Verfassungsschutz zugänglich sein. Außerdem wurde in den genannten Fällen dem Bundesminister des Innern das Recht eingeräumt, die ersatzlose Herausgabe von Akten anzuordnen, „wenn dies das Wohl des Bundes oder eines Landes erfordert.“ Der Bundesminister des Innern ist in diesem Szenario dazu verpflichtet, die parlamentarische Kontrollkommission zu nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes zu informieren.
Welche Interessen hatten Nachrichtendienste an den Stasi-Unterlagen? Argumentiert wurde in den Plenardebatten, insbesondere vonseiten der CDU/CSU, dass sogenannte „operative Akten“, die etwa die Zusammenarbeit des MfS/AfNS mit der bundesdeutschen Terroristengruppe RAF (die auch zu dieser Zeit mehrere Anschläge verübt hatte) betreffen, dem Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt werden sollten. Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) widersprach dieser Ansicht, indem sie verdeutlichte, dass alle die RAF betreffenden Unterlagen bereits in den Händen der Strafverfolgungsbehörden lägen. Der Verfassungsschutz sei im Übrigen weder für die Strafverfolgung noch für die historische Aufarbeitung zuständig. Ein Zugriff von Behörden sollte ausschließlich auf Antrag und im Interesse der Opfer für Belange der Rehabilitierung und Strafverfolgung und Forschung möglich sein. Besonders kritisch sah Köppe das Recht des Bundesministers des Innern, die ersatzlose Herausgabe von Akten anfordern zu können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vertrat die Ansicht, dass die Würde der Betroffenen durch eine erneute Nutzung der Akten durch Behörden abermals verletzt werden würde. Verbunden war diese Argumentation mit einer generellen Kritik dieser parlamentarischen Gruppe an Geheimdiensten. Die Auseinandersetzung hinsichtlich der Nutzung von Akten durch Nachrichtendienste gipfelte in dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Dieser sollte laut Antragstellerin klären, welche bundesdeutsche Behörde sich von Ende 1989 bis zum Tage der Antragstellung (dem 28. Juni 1991) Zugang zu dem Aktenmaterial beschafft habe und welches Material sich nun in den Händen von Behörden befinde. Über den Antrag wurde am 19. September 1991 im Bundestag debattiert, er scheiterte an den Mehrheitsverhältnissen. Die Fraktionen CDU/CSU und FDP lehnten ihn ab und argumentierten, dass alle im Antrag aufgeworfenen Fragen bereits von der Bundesregierung vor dem Innenausschuss beantwortet worden seien. Der Antrag diene lediglich als Ablenkungsmanöver von der Schuld der SED an den Machenschaften der Stasi. Die SPD-Fraktion vertrat die Ansicht, dass sicherlich noch nicht alle Fragen geklärt seien, es aber keine Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen gebe. Unterstützung fand der Antrag bei der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Am 14. November 1991 stimmte der Bundestag über die Empfehlung des Innenausschusses zu den Entwürfen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ab. Die Beschlussempfehlung orientierte sich am interfraktionellem Entwurf. Es kam zu keiner Änderung der Regelung bezüglich der Zugriffsrechte für Geheimdienste. Die Klarnamen der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS sollten den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Entgegen den Vorstellungen der DDR-Bürgerrechtsbewegung sollten die Akten zentral verwaltet werden. Das Gesetz regelte im Detail, welche Unterlagen zu welchen Zwecken von wem genutzt werden dürfen und schuf so eine Basis für die weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das Gesetz trat am 20. Dezember 1991 in Kraft.
Dokumente
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Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Gesetzes über die Sicherung und Nutzung der Daten und Unterlagen des MfS der DDR, DS 12/692, 7.6.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Gesetzentwurf der CDU/CSU, der SPD und der FDP: Stasi-Unterlagen-Gesetz, DS 12/723, 12.6.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Gesetzentwurf der Bundesregierung: Stasi-Unterlagen-Gesetz, DS 12/1093, 29.8.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antrag der PDS/Linken Liste: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, DS 12/881, 28.6.1991. Quelle: Deutscher Bundestag.
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Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, DS 12/1540, 12.11.1991. Quelle: Deutscher Bundestag.
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Stasi-Unterlagen-Gesetz, BGBL 67, 20.12. 1991. Mit freundlicher Genehmigung des Bundesanzeiger Verlags.
Der Bundesbeauftragte Joachim Gauck überreicht am 1.7.1993 Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth den ersten Tätigkeitsbericht über die Arbeit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Der Umgang mit den Akten der Parteien und Massen-
organisationen
Zum papierenen Erbe der SED-Diktatur gehörten nicht nur die Unterlagen des MfS/AfNS. Auch für die Akten der SED, der Blockparteien und Massenorganisationen der DDR musste der Bundestag nach Vollendung der deutschen Einheit eine Lösung finden. Der Einigungsvertrag beinhaltete eine Übergangsregelung, die das Archivgut als Bestandteil des Vermögens dieser Organisationen der treuhänderischen Verwaltung der Treuhandanstalt und der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR unterstellte. Eine abschließende gesetzliche Regelung wurde dem gesamtdeutschen Gesetzgeber überlassen.
Warum war eine gesonderte Regelung für diese Akten durch den Bundestag notwendig? Ähnlich, wie auch bei den Stasi-Unterlagen, sah man im Archivgut der Parteien und Massenorganisationen die Grundlage für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das Material sollte insbesondere Auskunft über die Machtstrukturen innerhalb der DDR liefern. Die Debatte im gesamtdeutschen Parlament begann im Jahr 1991. Zu dieser Zeit hatten westdeutsche Parteien bereits das Archivgut der Blockparteien, die mit ihnen fusioniert waren, übernommen. So fanden sich die Unterlagen der Ost-CDU im Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustin, die Akten der LDPD und der NDPD im Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach. Die Akten der SED wurden von der PDS verwaltet. Die Nachfolgeparteien führten die DDR-Bestände als Privatarchiv. Es bestand damit auch die Gefahr, dass Unterlagen abhandenkommen könnten.
Teile der Archivbestände der Parteien und Massenorganisationen – insbesondere aus dem Archiv der SED – konnten jedoch als Staatsakten definiert werden. Staatsakten sind prinzipiell im Staatsarchiv – also in der Bundesrepublik Deutschland im Bundesarchiv – aufzubewahren. Die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der FDP legten daher im Frühjahr 1991 einen Gesetzentwurf vor, der die Überführung des Archivguts der Parteien und Massenorganisationen, die aufgrund der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben entstanden waren, ins Bundesarchiv regeln sollte. Die Bestimmungen, die als Ergänzung in das Bundesarchivgesetz aufgenommen werden sollten, bezogen sich explizit nicht auf Unterlagen hinsichtlich der Parteiorganisationen, der Mitgliederkarteien und sonstige auf Parteimitglieder bezogene Unterlagen sowie Bestände über Parteivermögen, Finanzen und sonstige wirtschaftliche Vorgänge. Die SPD-Fraktion äußerte Bedenken: Sie warnte vor der Gefahr, dass Archive auseinandergerissen werden könnten, was die historische Forschung und somit die wissenschaftliche Aufarbeitung be- oder verhindern könnte. Sie regte die Schaffung eines Forschungszentrums an, das die Akten verwahren und wissenschaftlich auswerten sollte. Ein Vorbild sah man im Institut für Zeitgeschichte in München, das zur Aufarbeitung der NS-Diktatur entstanden war. Die PDS/Linke Liste bezeichnete ein Herauslösen von Teilen aus dem Parteiarchiv gar als „Kulturfrevel“. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sah eine „Beerdigung der Unterlagen im Bundesarchiv“ kritisch, da die im Bundesarchivgesetz festgelegten Schutzfristen einer Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit im Wege standen. In ihrem Gesetzesentwurf forderte sie ein eigenes „Staatsaktengesetz“.
Im Herbst 1991 legte die SPD-Fraktion einen neuen Gesetzentwurf vor, in dem sie die Gründung von drei unselbstständigen Stiftungen unter dem Dach des Bundesarchivs vorschlug. Hintergrund war, dass sich das SED-Archiv aus sehr unterschiedlichen Beständen zusammensetzte. Teile davon waren für die SPD von besonderem Interesse, da sie die deutsche und europäische Arbeiterbewegung vor 1933 und damit auch Teile der Geschichte der SPD betrafen. Durch die Gründung von drei unselbstständigen Stiftungen sollte ein Auseinanderreißen der Akten vermieden werden. Eine „Stiftung Archiv und Bibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ sollte die Bestände des früheren Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, die zu zwei Dritteln Unterlagen zur Geschichte der deutschen und europäischen Arbeiterbewegung aufwiesen und ansonsten die SED-Akten beinhalteten, verwalten. Eine weitere Stiftung sollte unter dem Namen „Johannes-Sassenbach-Stiftung, Bibliothek und Archiv der Gewerkschaftsbewegung“ die Bestände des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund), die im großen Umfang Materialien zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung beinhalteten, aufnehmen. Die dritte Stiftung sah man für die Verwaltung der Bestände der Blockparteien und restlichen Massenorganisationen vor. Durch dieses Konstrukt versprach man sich, dass die „gewachsene Identität eines jeden Archivs […] gewahrt“ bleiben konnte. Die Interessen der Organisationen, die zu dieser Zeit die Bestände im Besitz hatten, sollten durch ein Kuratorium und die Interessen der Opfer der SED-Diktatur durch Arbeitskreise berücksichtigt werden. Die zu dieser Zeit schon mit der Materie befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten übernommen werden, da für sie andere arbeitsrechtliche Voraussetzungen gelten könnten als für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.
Am 23. Januar 1992 stimmte der Bundestag über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses bezüglich gesetzlicher Regelungen zu den Beständen der Parteien und Massenorganisationen ab. Der Ausschuss empfahl neben der Einfügung einer Bestimmung in das Bundesarchivgesetz (angeregt durch den Antrag der Koalitionsfraktionen) auch – angelehnt an den Antrag der SPD – die Gründung einer unselbstständigen Stiftung unter dem Dach des Bundesarchivs: Die „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ sollte die Aufgabe haben, Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen zu übernehmen, sie auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und zu ergänzen. Dies sollte auch für andere Unterlagen, Materialien und Bibliotheksbestände zur deutschen Geschichte gelten, insbesondere zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, die damit in historischem oder sachlichem Zusammenhang standen. Über Bestände, die nicht als Staatsakten und damit als Archivgut des Bundes angesehen werden können, waren mit den Eigentümerinnen und Eigentümern gesonderte Vereinbarungen zu schließen. Durch die Stiftung sollten die Archivbestände also erhalten sowie einer auf gemeinsamen Grundsätzen basierenden Nutzung zugänglich gemacht und die Rechte aller Eigentümerinnen und Eigentümer gewahrt werden. Letzteres sollte durch die Besetzung eines Kuratoriums mit Vertreterinnen und Vertretern der Archivgut abgebenden Stellen erreicht werden. Die allgemeine Schutzfrist von 30 Jahren wurde aufgehoben, nicht aber die personenbezogenen Schutzfristen. Personenbezogene Daten sollten – wie es das Bundesarchivgesetz vorsieht – erst 30 Jahre nach dem Tod bzw. wenn das Todesdatum nicht feststeht 110 Jahre nach der Geburt der betreffenden Person eingesehen werden können. Eine Verkürzung dieser Fristen, so das Gesetz, sollte nur durch Zustimmung des oder der Betroffenen möglich sein oder für wissenschaftliche Forschungsvorhaben und „berechtigte Belange“. Die Schutzfristen konnten für Personen der Zeitgeschichte sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes verkürzt werden, wenn die schutzwürdigen Belange des oder der Betroffenen angemessen berücksichtigt würden. Aus letzterem Grund stimmte die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Beschlussempfehlung. Die Gruppe trat für eine Aufhebung der personenbezogenen Schutzfristen ein und legte einen Änderungsantrag vor, mit dem sie sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Die Beschlussempfehlung wurde angenommen. Das Gesetz trat am 13. März 1992 in Kraft.
Die Sendung Aktuell berichtet im April 1991 über die Bundestagsdebatte zum Archiv der Parteien und Massenorganisationen.
Quelle: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv
Dokumente
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Gesetzentwurf von Abgeordneten der CDU/CSU und FDP: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, DS 12/288, 20.3.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GÜNEN: Lagerung, Verwaltung, Sicherung und Nutzung staatsbezogener Parteiakten der SED, der Blockparteien und von Massenorganisationen in der ehemaligen DDR, DS 12/283, 20.3.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antrag der SPD: Gründung von drei unselbständigen Stiftungen unter dem Dach des Bundesarchivs, DS 12/1379, 24.1.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, DS 12/1967, 21.1.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf des Gesetzes der Änderung des Bundesarchivgesetzes, DS 12/1979, 22.1.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, BGBL, 13.3.1991. Mit freundlicher Genehmigung des Bundesanzeiger Verlags.
Der weitere Umgang mit den NS-Akten
Hatten die umfassenden Regelungen zu den Stasi-Unterlagen und den Akten der Parteien und Massenorganisationen der DDR Auswirkungen auf den Umgang mit den – 1992 immer noch in US-amerikanischer Hand befindlichen – Akten des Berlin-Document-Centers? Eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an die Bundesregierung ging dieser Frage am 30. März 1992 nach und erbat Auskunft über die Übergaberegelungen mit der Regierung der USA. Die Bundesregierung erklärte, dass eine Übergabe des Archivs frühestens Ende 1993 erfolgen könne. Von US-amerikanischer Seite wurde eine Mikroverfilmung der Akten für das Staatsarchiv in Washington D.C. durchgeführt. Eine neue gesetzliche Regelung, die an das Stasi-Unterlagen-Gesetz angelehnt ist, sei laut Regierung nicht notwendig. Das Bundesarchivgesetz beinhalte ausreichende Regelungen zur Aufhebung der Schutzfrist von personenbezogenen Unterlagen. Im Oktober 1993 wurden die Akten in das Bundesarchiv überführt.
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