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AUFARBEITUNG

Volkskammer 1990

In der frühen Phase der Aufarbeitung der SED-Diktatur, die bereits mit der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 einsetzte, lag neben Forderungen nach strafrechtlicher Ahndung, einem Elitenwechsel und der Rehabilitierung von Opfern der Fokus hauptsächlich auf dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Dennoch setzten sich die Abgeordneten der Volkskammer bereits 1990 auch immer wieder dafür ein, alle Strukturen der Diktatur offenzulegen. Auch erste Gedenkstätten entstanden im Jahr 1990.

Der Umgang mit der SED-Diktatur

Der Umgang mit der SED-Diktatur

Ein erheblicher Teil der DDR-Bevölkerung hatte ein Bedürfnis nach Aufdeckung der Geschehnisse. Die Bürgerinnen und Bürger erkämpften sich die restlose Auflösung des MfS und die Einsicht in die Akten der Staatssicherheit. Den Akten kam dabei in der Aufarbeitung der Vergangenheit eine erhebliche Bedeutung zu. Spektakuläre Fälle um Aufdeckungen geheimer Mitarbeit bei der Staatssicherheit beherrschten kurz nach der deutschen Einheit die Medien.

Das MfS wurde durch diesen intensiven Fokus im vereinten Deutschland zunächst vornehmlich als Hauptverantwortliche der SED-Diktatur wahrgenommen. Der Blick auf die Auftraggeber der Staatssicherheit auf der politischen Ebene wurde dadurch verstellt. Ein differenzierter Blick auf staatliche Strukturen, Organe, Schuld, Opposition und Widerstand sowie den Alltag in der DDR wurde u. a. erst durch die Einsetzung der ersten Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ durch den Deutschen Bundestag 1992 möglich.

In Ostdeutschland setzten sich Vertreterinnen und Vertreter des Zentralen Runden Tisches und Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer bereits 1989/1990 immer wieder dafür ein, alle Strukturen der Diktatur offenzulegen und einen differenzierten und kritischen Blick auf die Vergangenheit zu werfen. Auch die Forderung nach Entschädigungen für Betroffene von DDR-Unrecht, die Bedeutung von Opposition und Widerstand in der DDR, die Rolle der SED, die Verantwortung der Blockparteien sowie die Verflechtung von SED und MfS waren immer wieder Thema in der Volkskammer.

Marianne Birthler (damals Volkskammerabgeordnete von Bündnis 90/Grüne) resümiert, welche Schwierigkeiten der Fokus auf das MfS im Kontext der Aufarbeitung mit sich brachte.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Mehrere Menschen sitzen an einem Tisch

Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth setzte die zweite Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ am 30. Juni 1995 ein.

In einer Regierungserklärung am 19. April 1990 gedachte Ministerpräsident Lothar de Maizière beispielsweise im Namen der Volkskammer und der DDR-Regierung symbolträchtig sowohl der Opfer des Faschismus, der Konzentrationslager und des Krieges als auch der Opfer des Stalinismus, des 17. Juni 1953 und der Maueropfer. Er stellte „die Rehabilitierung von Bürgern, die aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt und arbeitsrechtlich benachteiligt wurden oder andere Nachteile zur Unrecht erlitten“, als „ein wesentliches Anliegen neuer Rechtspolitik“ hervor. In der Volkskammer plädierte die Fraktion Bündnis 90/Grüne am 20. Juli 1990 zudem dafür, dass Gremien für Betroffene eingerichtet werden sollten, die diese in Rehabilitierungsverfahren unterstützen, da viele Betroffene Schwierigkeiten hätten, überhaupt „Beweismittel“ für das erlebte Unrecht zu erbringen. Es sollten daher eine Stiftung oder mehrere Stiftungen eingerichtet werden, die sich über die staatlichen Maßnahmen hinaus mit der Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur befassen sollten.

Auch die Bedeutung von Opposition und Widerstand für die Friedliche Revolution wurde in der Volkskammer immer wieder herausgestellt. Rainer Ortleb von der F.D.P.-Fraktion bedankte sich in der letzten Sitzung der Volkskammer am 2. Oktober 1990 bei den „Mutigen des Herbstes von 1989“. Es bliebe auch in einem vereinten Deutschland die Aufgabe, „über Ursachen und Verantwortlichkeiten in den vier Jahrzehnten Deutsche Demokratische Republik“ nachzudenken. Nicht stattfinden dürfe Verdrängung und Selbstmitleid, „die DDR vergeht, die Geschichte aber bleibt“. Auch Lothar de Maizière unterstrich in seiner Regierungserklärung am 19. April, dass die „Träger der friedlichen Revolution im Herbst 1989“, einen herausragenden Platz in der deutschen Geschichte verdienen würden. „Wir möchten lernen von denen, die in diesen dunklen Zeiten politischen Widerstand gewagt und geleistet haben“, so de Maizière.

Er argumentierte zudem in seiner Regierungserklärung, dass Menschen, die Widerstand gegen die Diktatur geleitstet hätten, die Gesellschaft „an unsere Verantwortung für unsere Geschichte“ erinnern würden. Dabei sei nicht allein die PDS für die DDR-Vergangenheit verantwortlich zu machen, sondern auch seine Partei. Die CDU müsse sich als Blockpartei ebenso für die Geschichte verantwortlich fühlen. Marianne Birthler von Bündnis 90/Grüne unterstützte in der anschließenden Aussprache zur Regierungserklärung die Aussage von Lothar de Maizière, die Rolle der Blockparteien in der Diktatur nicht zu verschweigen. Die Verantwortung könne nicht auf die SED allein reduziert werden. Zudem werde zu Recht jeder einzelne aufgefordert, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen. In Bezug auf die Thematik der Staatssicherheit, so Birthler, fordere das Bewusstsein der Tatsache, „dass viele der Täter zugleich Opfer waren“, Sorgfalt und die Bereitschaft, Menschen die Chance auf einen Neuanfang zu geben. Es bedeute aber auch, dass Menschen, die Unrecht begangen haben, in den Gerichtssaal gehören.

Blick auf das Plenum der Volkskammer

Am 19. April 1990 in der 3. Sitzung der Volkskammer gab Ministerpräsident Lothar de Maizière seine Regierungserklärung ab.

Strukturen

In der Volkskammer wurde auch immer wieder auf die Verflechtung von SED und MfS aufmerksam gemacht und die restlose Aufarbeitung aller Strukturen der Diktatur verlangt. Gunter Weißgerber (SPD) verdeutlichte beispielsweise in der Debatte um den Umgang mit dem Archivgut der Parteiarchive der SED am 13. September 1990, dass die SED und ihre Organe das System vollständig durchdrungen hätten.Bereits am 30. August 1990 forderte Jes Möller (SPD) in der Debatte um das „Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit“ Einblicke in das Parteiarchiv der SED. Nur so könne eine Aufarbeitung der Geschichte, der „totalitären Unrechtsorganisation Staatssicherheit“, der Geschichte, aber auch der Verfilzung von Staatspartei und Staatssicherheit erfolgen.

Am 28. September beantragten zudem mehr als 20 Abgeordnete: „Die Volkskammer möge beschließen bzw. als noch offenen Beschluss dem zukünftigen Bundestag übergeben, daß erstens die ehemaligen Auftraggeber für das MfS/AfNS, wie 1. Sekretäre der Kreisleitungen und Bezirksleitungen, Vorsitzende der Räte der Bezirke sowie alle Mitglieder des Politbüros und des ZKs der SED auf ihre rechtswidrige Tätigkeit überprüft werden und ggf. gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden.“

Manfred Buck (CDU), der den Antrag in die Volkskammer einbrachte, begründete ihn damit, dass die bisherigen Beschlüsse der Volkskammer zur Aufdeckung von verbrecherischen Aktivitäten des MfS sich nur auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS/AfNS und deren Informanten bezogen hätten. Die eigentlichen Auftraggeber auf politischer Ebene wie die SED, die bei der Verletzung der Menschenrechte sowie verbrecherischen Handlungen des MfS/AfNS mitverantwortlich waren, sollten in den Fokus der (strafrechtlichen) Aufarbeitung gerückt werden.

Video

Manfred Buck (CDU/DA) brachte den Antrag der mehr als 20 Abgeordneten am 28. September 1990 in die Volkskammer ein.
Quelle: Deutscher Bundestag.

Dokument

Auch Joachim Gauck, Vorsitzender des Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung MfS/AfNS, verdeutlichte in seinem Abschlussbericht in derselben Sitzung am 28. September 1990, dass die Macht des MfS zwar gebrochen, aber die Auflösungsarbeit noch nicht getan sei. Der innere Friede könne nicht durch „Verdrängen und Vergessen“ bewahrt werden. Zukünftig gehe es daher auch darum, die „historische Aufarbeitung der Geschichte der Staatssicherheit und im Besonderen die Verflechtung mit dem früheren Machtapparat offenzulegen“.

Die Frage der Bezeichnung der Diktatur wurde in der Volkskammer nicht debattiert. Die Abgeordneten nutzten in dieser Zeit verschiedene Bezeichnungen für das System in der DDR. So wurde die DDR wahlweise als „Ulbricht- und Honecker-Staat“, „altes System“, „SED-Regime“, „SED-Diktatur“ bezeichnet, oder es wurde von der „DDR-Vergangenheit“ oder „stalinistischen Vergangenheit“ bzw. einfach von der „DDR“ gesprochen. Von der Wahl der Bezeichnung konnte nicht auf die Parteienzugehörigkeit der Abgeordneten geschlossen werden – abgesehen von der PDS, die vornehmlich von der „DDR“ sprach. Auch erbitterte Auseinandersetzungen, wie die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war – die sogenannte „Unrechtsstaatsdebatte“ – fanden nicht in der Volkskammer statt und wurden auch bis zum Einsetzen der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ nicht im Bundestag geführt. Erst die beiden Enquete-Kommissionen, die sich mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschäftigten, setzten sich auf staatlicher Ebene mit diesen Themen auseinander.

  • Christoph Matschie (SPD) bilanziert über Stand und Perspektiven der Aufarbeitung der SED-Diktatur.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

  • Marianne Birthler berichtet u. a. über die Aufarbeitungslandschaft in Deutschland und resümiert über Stand und Perspektiven der Aufarbeitung.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Die „Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße“

Errichtung der „Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße“

Erst mit der Friedlichen Revolution konnten offizielle Gedenkorte für politische Verfolgung oder begangenes Unrecht nach 1945 in der DDR entstehen. Bereits im November 1990 eröffnete eine Forschungs- und Gedenkstätte in der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Normannenstraße. Im Haus 1 mit der erhaltene Büroetage Erich Mielkes gibt es mit dem „Stasimuseum“ bis heute ständige Ausstellungen. Der Grundstein hierfür wurde bereits im Januar 1990 gelegt. Voraussetzung für die Errichtung einer Gedenkstätte am Ort der Zentrale des MfS war die Durchsetzung der ersatzlosen Auflösung des MfS unter ziviler Kontrolle im Verlauf des Winters 1989/90. Am Abend des 15. Januar 1990 besetzten Demonstranten das Gelände der MfS-Zentrale. Noch am selben Tag begann das „Bürgerkomitee Normannenstraße“ damit, die Auflösung des MfS in der Zentrale zu überwachen und zu koordinieren. Am 22. Januar 1990 beschloss der Zentrale Runde Tisch auf Antrag Carlo Jordans (Grüne Partei – GP), dass im Haus 1 eine „Gedenk- und Forschungsstätte zum DDR-Sozialismus“ eingerichtet werden sollte. Im Beschluss war eine enge Verbindung zwischen Archivverwaltung und Gedenkstätte angedacht, durch die persönlichen Akteneinsicht gewährleistet werden sollte. Der Beschluss ließ die Trägerschaft und die Umsetzung vollständig offen.

  • Zu sehen ist die Außenansicht der Zentrale des ehemaligen AfNS/MfS von der Ruschestraße, einen Tag nach den Demonstrationen und der Besetzung der Zentrale am 15. Januar 1990 als mehrere hunderte Menschen in das Gebäude eindrangen.
    Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0116-031/Rainer Mittelstädt.

  • Tausende Menschen versammelten sich am 15. Januar 1990 vor der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin Lichtenberg. Sie folgten damit dem Aufruf der Bürgerbewegung „Neues Forum“.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2370_014/Jürgen Nagel.

Heinz Meier vom „Bürgerkomitee Normannenstraße“ erarbeitete daraufhin ein Konzept für eine „Forschungs- und Gedenkstätte zur Unterdrückung Andersdenkender“, die unter staatlicher Trägerschaft und Finanzierung umgesetzt werden sollte. Dieses Konzept wurde aus Zeitgründen am Zentralen Runden Tisch nicht mehr diskutiert. Obwohl das im Februar 1990 eingesetzte staatliche „Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“, das dem Ministerium des Inneren unterstellt war, die Konzeption für die Forschungs- und Gedenkstätte übernehmen wollte, legte Heinz Meier vom „Bürgerkomitee Normannenstraße“ am 18. März 1990 dem Komitee eine überarbeitete Beschlussvorlage vor, die nun die Gründung einer „Forschungs- und Gedenkstätte (FOGE) für die Opfer stalinistischer Willkür und zur Darstellung der Unterdrückung Andersdenkender in der DDR“ empfahl. In dem Konzept wurden keine konkreten geschichtspolitischen Inhalte genannt. Dafür fanden sich darin konkrete Übersichten zu Planstellen und zur materiellen Ausstattung. Laut Konzept sollten 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und 12 Honorarkräfte angestellt werden. Zudem wurde ein Staatszuschuss von 3 Millionen Mark für die Umsetzung der Gedenkstätte veranschlagt. Die Eröffnung der Forschungs- und Gedenkstätte war in diesem Konzept bereits für den 1. Juli 1990 geplant. Des Weiteren sollte ein Aufbaustab „aus den mit der Kontrolle der Auflösung des ehemaligen MfS Beschäftigten, die über entsprechende Qualifikationen verfügen“ zur Errichtung der Gedenkstätte gebildet werden.

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    Beauftragter des Ministerpräsidenten der DDR für die Auflösung des ehem. AfNS: Beschlussentwurf über die Gründung einer Forschungs- und Gedenkstätte, 29.3.1990. Quelle: BArch DO 104/1, Bl. 145-154.

Das vorgelegte Konzept von Heinz Meier vom „Bürgerkomitee Normannenstraße“ wurde vom staatlichen „Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ Ende März 1990 modifiziert und gekürzt. Zusammen mit dem Bürgerkomitee und einem noch zu schaffenden parlamentarischen Ausschuss sollte das staatliche Komitee einen Beschlussentwurf für eine Forschungs- und Gedenkstätte vorbereiten. Die Nutzung von Räumlichkeiten für eine Gedenkstätte im Haus 1 sollte auf zwei bis drei Etagen begrenzt bleiben. Die Finanzierung sollte beim Ministerium für Kultur (MfK) liegen. Zudem könnten nur zwei bis drei Personen vom staatlichen „Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ zur konzeptionellen Vorbereitung der Gedenkstätte zeitweilig beschäftigt werden. Kurz darauf wurde ein Aufbaustab aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des staatlichen „Komitees zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ eingesetzt.

Der von der neuen DDR-Regierung unter Lothar de Maizière veröffentlichte Ministerratsbeschluss 6/6/90 vom 16. Mai 1990 verfügte zudem, dass zur Einrichtung einer „Forschungs- und Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus“ die erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen sind:

„Entsprechend dem Vorschlag des Zentralen Runden Tisches zur Errichtung einer Forschungs- und Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus im Haus I des Objektes Normannenstraße des ehemaligen MfS/AfNS sind die erforderlichen konzeptionellen Vorschläge sowie die materiellen, finanziellen und personellen Voraussetzungen vorzubereiten und zu schaffen.“

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Damit war die Errichtung der Gedenkstätte zu einer direkten staatlichen Aufgabe geworden. Eine rege Beteiligung des „Bürgerkomitees Normannenstraße“ am Aufbau der Forschungs- und Gedenkstätte sollte es nicht mehr geben, die Arbeit der Bürgerkomitees sollte mit dem 01. Juli 1990 offiziell enden.

Am 7. Juni 1990 beschloss die Volkskammer die Einsetzung eines parlamentarischen Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des MfS/AfNS. Die Archivzuständigkeiten wurden damit auf den Sonderausschuss übertragen. Es sollte daher auch keine Gedenkstätte mehr im Verbund mit einem Archiv geplant werden, sondern ein Museum, das zunächst beim Ministerium für Kultur angesiedelt werden sollte. Allerdings stellte das Ministerium für Kultur kaum finanzielle Mittel bereit. Der Aufbau einer Forschungs- und Gedenkstätte lief schleppend, auch weil die Gedenkstätte innerhalb des Auflösungsprozesses eine untergeordnete Rolle einnahm.

Menschen schauen sich eine Ausstellung an.

Auch Vertreterinnen und Vertreter des Museums für Deutsche Geschichte erarbeiteten Ende Juli 1990 ein Konzept für eine Gedenkstätte bzw. ein Museum auf dem Areal der Zentrale des MfS. Das Museum für Deutsche Geschichte war am 5. Juli 1952 eröffnet worden, wie hier auf dem Bild zu sehen.

Neben dem Konzept des staatlichen „Komitees zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ auf Grundlage des Ministerratsbeschlusses 6/6/90 vom 16. Mai 1990 gab es im Sommer 1990 noch zwei andere Initiativen zum weiteren Umgang mit Haus 1 der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit: zum einem vom Museum für Deutsche Geschichte, dem zentralen historischen Museum der DDR, und zum anderem von der Initiativgruppe der Forschungs- und Gedenkstätte im Bürgerkomitee Berlin, die sich im Juni 1990 aus Vertreterinnen und Vertretern des „Bürgerkomitees Normannenstraße“ zusammengefunden hatte.

Nach Gesprächen mit dem staatlichen „Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ erarbeiteten Vertreterinnen und Vertreter des Museums für Deutsche Geschichte Ende Juli 1990 eine „Vorlage zu einem Beschluss über die Gründung eines Sammlungs-, Dokumentations- und Kommunikationszentrum zur Geschichte der DDR 1945-1990“. Mit Bezugnahme auf den Beschluss des Deutschen Bundestages zur Gründung einer selbständigen Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vom 16.12.1989 wurde in dieser Vorlage empfohlen, eine „entsprechende Institution, die sich der Geschichte der DDR (1945-1990) widmet in der DDR-Hauptstadt Ost-Berlin“ im Haus 1 der ehemaligen Zentrale des MfS anzusiedeln. Der Fokus der Ausstellung sollte dabei nicht auf der Geschichte des MfS und den Repressionsstrukturen liegen, sondern eine Gesamtgeschichte der DDR sollte abgebildet werden. Diese Vorlage konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Am 29. August 1990 beschloss der Ministerrat der letzten DDR-Regierung schließlich die Auflösung des Museums für Deutsche Geschichte zum 15. September 1990.

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    Protokoll über die Beratung des Arbeitsstabes zur Auflösung des AfNS: Ideen zur Forschungs- und Gedenkstätte vom Museums für Deutsche Geschichte, 26.6.1990. Quelle: Barch DO 104/22, Bl. 253-256.

Das Bürgerkomitee Normannenstraße wollte unabhängig vom staatlichen „Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ eigene Planungen zur Umsetzung einer Forschungs- und Gedenkstätte fortsetzen. So fanden sich Vertreterinnen und Vertreter des Bürgerkomitees zu einer „Initiativgruppe der Forschungs- und Gedenkstätte im Bürgerkomitee Berlin“ zusammen. Zu den Überlegungen der Initiativgruppe gehörte die Idee zur Gründung eines Trägervereins, der nach dem Ende des „Bürgerkomitee Normannenstraße“ den Aufbau der Forschungs- und Gedenkstätte übernehmen und auch nach der deutschen Einheit förderwürdig sein könnte. Zudem sollte eine Ausstellung erarbeitet werden, in der die MfS-Machtstrukturen und Beziehungen zwischen SED und MfS herausgearbeitet werden sollten.

Am 2. August 1990 gründete sich schließlich aus Vertreterinnen und Vertretern des „Bürgerkomitees Normannenstraße“ bzw. der „Initiativgruppe der Forschungs- und Gedenkstätte im Bürgerkomitee Berlin“, des staatlichen „Komitees zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“ sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ehemaligen MfS, die den Aufbau einer Forschungs- und Gedenkstätte fördern wollten, die „Stiftung Antistalinistische Aktion Berlin Normannenstraße“ (ASTAK). Zu Mitgliedern des Vorstands wurden u. a. Heinz Meier und Carlo Jordan bestimmt. Laut Satzung der Stiftung Antistalinistische Aktion Berlin Normannenstraße (ASTAK) waren die Ziele der Vereinigung u. a. die Förderung des Aufbaues einer Forschungs- und Gedenkstätte sowie die Bereitschaft, die Trägerschaft hierfür zu übernehmen. Des Weiteren wollte die ASTAK die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten, „die durch die stalinistische Diktatur unter Führung der SED, insbesondere durch das MfS physisch, psychisch und materiell geschädigt wurden.“ Zudem sollte dadurch auch eine Begegnungsstätte geschaffen werden.

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Das staatliche Komitee arbeitete parallel an einer ersten Ausstellung, für die vom Ministerium für Kultur 25.000 DM zur Verfügung gestellt wurden. Neben einem Überblick über Machtstrukturen und Wirkungsweisen des MfS sollten in der Ausstellung MfS-Devotionalien in den Mielke-Räumlichkeiten, aber auch der Stand der MfS-Forschung sowie die Geschichte der Auflösung des MfS durch das staatliche Komitee und das Bürgerkomitee gezeigt werden. Die Ungewissheit, wer die Trägerschaft nach der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 übernehmen sollte, blieb bestehen. Auch im von der Volkskammer am 24. August 1990 beschlossenen „Gesetz über die Nutzung und Sicherung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS“ fand die Forschungs- und Gedenkstätte keine Erwähnung.ä

Am 30. August 1990 brachte sich die ASTAK selbst als potenziellen Träger in die Überlegungen ein. Auf der Sitzung der Regierungskommission zur Auflösung des MfS/AfNS am 7. September 1990 begrüßten die Regierungsvertreterinnen und -vertreter die Idee, die ASTAK als Träger der zukünftigen Gedenkstätte einzusetzen. Im September 1990 übernahm die ASTAK zunehmend die Konzeption und Umsetzung der Forschungs- und Gedenkstätte, der Aufbaustab des staatlichen Komitees geriet in den Hintergrund. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ASTAK bemühten sich zudem um finanzielle Unabhängigkeit beim Aufbau der Gedenkstätte. Auf Initiative des Vorstandmitgliedes Carlo Jordan brachte die Fraktion Bündnis 90/Grüne/UFV einen Antrag zur Förderung der Forschungs- und Gedenkstätte in die Stadtverordnetenversammlung (SVV) Berlin ein. Der Antrag war erfolgreich und die ASTAK erhielt schließlich eine Förderung in Höhe von 50.000 DM. Für die erste Ausstellung wurden bis zum 3. Oktober 1990 darüber hinaus 77.000 DM aus Ost-Berliner Regierungskreisen gesammelt. 35.000 DM kamen von der PDS, 30.000 DM von der CDU, 10.000 DM vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und 2.000 DM von der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Dadurch waren die Ausstellungspläne finanziell abgesichert und die Ausstellungseröffnung wurde für den 7. November 1990 angesetzt.

Luftbild auf die Stasi-Zentrale.

Gebäudekomplex der Stasi-Gedenkstätte des ehemaligen MfS Ministerium für Staatssicherheit der DDR in der Ruschestraße zwischen Normannenstraße und Frankfurter Allee im Ortsteil Lichtenberg in Berlin.

Nach der deutschen Einheit blieben die Unklarheiten in Bezug auf die Trägerschaft zunächst bestehen. Die ASTAK vermutete, dass das Haus 1 offiziell im Zuständigkeitsbereichs des „Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Verwahrung der Akten und Dateien des ehemaligen MfS/AfNS“, Joachim Gauck, liegen würde, der nun dem Bundesministerium des Inneren angehörte. Daher kam es Anfang November 1990 zu einem Gespräch zwischen Joachim Gauck und der ASTAK. In diesem Gespräch lehnte der Sonderbeauftragte Gauck eine Schirmherrschaft der Ausstellung des ASTAK zunächst ab und sprach sich auch gegen eine Anbindung aus, da Gaucks Aufgabenbereich zu diesem Zeitpunkt in der Archivverwaltung lag und nicht auf einer politischen Bildungseinrichtung. Daraufhin erklärte sich die ASTAK bereit, die Verantwortung für die Museumsarbeit in Haus 1 zu übernehmen. Im November 1990 arbeitete die Forschungs- und Gedenkstätte somit unabhängig von staatlichen Weisungen und Institutionen und die ASTAK übernahm nun auch offiziell die Geschäfte der Forschungs- und Gedenkstätte, die am 7. November 1990 mit der Ausstellung „Wider den Schlaf der Vernunft“ eröffnete.

Die ASTAK setzte sich personell anfangs aus Vertreterinnen und Vertretern der staatlichen Kommission und der Bürgerkomitees, aus ehemaligen MfS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern sowie aus politischen Vertretern der PDS und Bündnis 90 zusammen. Nach und nach rückten immer mehr Vertreterinnen und Vertreter aus Opposition und Bürgerrechtsbewegung im Trägerverein nach. Daher gehörten, neben der Geschichte des MfS, die Themen Opposition und Widerstand immer mehr zum Profil der Gedenkstätte und des Trägervereins.

In den folgenden Jahren begannen auch andere Vereine, die sich mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschäftigten, die Räumlichkeiten in Haus 1 zu nutzen. Zwischenzeitlich gab es Bestrebungen der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), die ASTAK mit der Forschungs- und Gedenkstätte in die Behörde einzugliedern. Die ASTAK konnte aber ihre Unabhängigkeit beibehalten und ihr Bleiberecht in Haus 1 verteidigen. Seither ist Haus 1 als Museum, das später in „Stasimuseum“ umbenannt wurde, der Öffentlichkeit zugänglich. Kernstück des historischen Ortes ist bis heute die in ihrem originalen Zustand erhaltene Büroetage Erich Mielkes. Seit Januar 2015 ist im Haus 1 die Dauerausstellung „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ zu sehen, die der Verein gemeinsam mit der Stasi-Unterlagen-Behörde erarbeitet hat.

Eingang des Stasi-Museums.

„Stasimuseum“ steht auf der Fahne vor der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR an der Normannenstraße. Das Museum ist bis heute für die Öffentlichkeit zugänglich.

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