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ERINNERUNG

Zentraler Runder Tisch
1989 – 1990

Bereits am Zentralen Runden Tisch wurden in Abgrenzung zur Erinnerungspolitik des SED-Staates neue Debatten um den Umgang mit der NS-Vergangenheit geführt. Er beschäftigte sich unter anderem mit der Einwanderung sowjetischer Jüdinnen und Juden in die DDR. Auch ein neues Gedenken an die Geschehnisse und die Opfer des 17. Juni 1953 konnte nach den Umbrüchen im Herbst 1989 entstehen. 

Der Umgang mit NS-Vergangenheit in der DDR

Der Umgang mit NS-Vergangenheit in der DDR

Eine umfassende Aufarbeitung der NS-Diktatur in der DDR blieb aus. Die öffentliche Erinnerung blieb dem Geschichtsbild der SED verpflichtet. Die SED instrumentalisierte die Geschichte zur Vermittlung ihrer marxistisch-leninistischen Weltanschauung und zur patriotischen Erziehung. In ihrem Selbstverständnis definierte sich die DDR als „antifaschistischer Staat“ und stellte sich damit ideologisch in die Nachfolge des antifaschistischen Widerstandes. Die DDR sah sich nicht als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches und wies damit jede Verantwortung für die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen von sich. Somit lehnte sie materielle Entschädigungsleistungen für im Ausland lebende NS-Opfer ab und verweigerte auch die moralische Mitverantwortung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands.

  • Am 11. September 1989 lud Erich Honecker zu einer machtvollen Großkundgebung anlässlich des „Internationalen Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg“. Geladen waren auch antifaschistische Widerstandskämpfer aus 23 europäischen Ländern. In der DDR wurde jährlich am zweiten Sonntag im September dieser Tag begangen.
    Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1988-0911-008/Rainer Mittelstädt.

  • Mitglieder des kommunistischen Jugendverbands Freie Deutsche Jugend (FDJ) bei einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal des antifaschistischen Widerstandskampfes in Brandenburg.
    Quelle: picture alliance / zb | Reinhard Kaufhold.

In der DDR gab es zwar einen kleinen Kreis anerkannter Opfer des Nationalsozialismus, die eine privilegierte Sozialfürsorge in Form einer „Ehrenpension“ erhielten. Die Leistungen an die NS-Opfer wurden jedoch in Abhängigkeit vom Willen der zuständigen staatlichen Institutionen gewährt. Bei politisch missliebigem Verhalten konnten sie jederzeit wieder entzogen werden. Zudem unterschied die DDR zwischen „Kämpfer gegen den Faschismus“, die sich während des Nationalsozialismus aktiv am „antifaschistischen Kampf beteiligt“ und später in der DDR „ihre antifaschistische Gesinnung“ beibehalten hatten, und „Opfer des Faschismus“, die aus rassischen, politischen und religiösen Gründen Verfolgten. Die „Kämpfer“ erhielten höhere Entschädigungsrenten und standen im Vordergrund des Gedenkens. So war auch das offizielle Erinnern, Mahnen und Gedenken auf den kommunistischen Widerstandskampf gegen das NS-Regime ausgerichtet.

Rainer Eppelmann (CDU) erläutert, wie das SED-Regime mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Der Bruch mit der Erinnerungspolitik der SED begann erst mit der Friedlichen Revolution. Am Zentralen Runden Tisch stellte Konrad Weiß im Namen von Demokratie Jetzt (DJ) in der letzten Sitzung am 12. März 1990 im Rahmen der Debatte um eine neue Verfassung einen Antrag mit dem Titel „Zur Verankerung der besonderen Verpflichtung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk in der neuen Verfassung der DDR“:

„Angesichts der besonderen Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk sollen in der neuen Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik die folgenden Grundsätze angenommen werden:

  • Ausdrückliche Verpflichtung des Staates der Deutschen Demokratischen Republik zu Pflege, Bewahrung und Schutz der religiösen und kulturellen Tradition der Juden;
  • Ausdrückliche Verpflichtung des Staates zur dauernden Erhaltung jüdischer Friedhöfe und solcher Gebäude und Denkmäler, die an die Geschichte der Juden in Deutschland erinnert;
  • Asylpflicht der Deutschen Demokratischen Republik für verfolgte Juden.“

Diese Grundsätze sollten in den im April 1990 fertigzustellenden Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches einfließen. Der Antrag konnte jedoch aus Zeitgründen nicht mehr am Zentralen Runden Tisch diskutiert werden und wurde daher an die AG „Neue Verfassung“ übergeben. Die Grundsätze wurden letztendlich nicht in den Verfassungsentwurf übernommen. Sie fanden sich aber im ersten inhaltlichen Beschluss der letzten und ersten frei gewählten Volkskammer am 12. April 1990 wieder, in dem die Volkskammer sich im Namen aller Bürgerinnen und Bürger der DDR zur Mitverantwortung an der Shoah bekannte.

Menschen stellen Kerzen auf den Boden

Am 9. November 1989 fiel in Berlin die Mauer. Am selben Abend erinnerten zehntausende Menschen in Leipzig auf einem vom Neuen Forum (NF) initiierten Schweigemarsch an den 51. Jahrestag der Novemberpogrome. Bereits seit 1983 hatten Leipziger Bürgerrechtsgruppen unabhängige Gedenkveranstaltungen organisiert.

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Die Aufnahme sowjetischer Jüdinnen und Juden

Die Aufnahme sowjetischer Jüdinnen und Juden

Zu den Grundsätzen, die sich in diesem Beschluss der Volkskammer am 12. April 1990 wiederfanden, gehörte auch die „Asylpflicht der Deutschen Demokratischen Republik für verfolgte Juden“. Der Zentrale Runde Tisch und ab März 1990 die Volkskammer sowie die Regierung de Maizière schafften die Grundlage für die spätere Aufnahme jüdischer „Kontingentflüchtlinge“ aus der Sowjetunion, die bis heute einen bedeutenden Teil der Jüdischen Gemeinden Deutschlands ausmachen.

Am Zentralen Runden Tisch stellte Wolfgang Templin von der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) bereits am 12. Februar 1990 einen Antrag mit dem Titel „Aufruf zur Aufnahme sowjetischer Juden in der DDR“, in der auf die antijüdischen Pogromdrohungen in verschiedenen sowjetischen Städten aufmerksam gemacht und gefordert wurde, dass die DDR sofort „Voraussetzungen zur Aufnahme von sowjetischen Juden, die es wünschen, unabhängig von bestehenden Rechtsvorschriften“ schaffen sollte:

„Seit Wochen hören wir von antijüdischen Pogromdrohungen in verschiedenen sowjetischen Städten. Antisemitische und nationalistische Kräfte haben sich organisiert und bedrohen das Leben von Juden. […] Eingedenk der Tatsache, daß bei der Judenverfolgung und -vernichtung durch den deutschen Faschismus die ganze Welt zugesehen hat, rufen wir auf, die deutsche Schmach der Vergangenheit nicht zu wiederholen.“

Die AG „Ausländerfragen“ des Zentralen Runden Tisches hatte den Antrag bereits im Vorfeld diskutiert. Der Jüdische Kulturverein Berlin (JKV), der erst im Dezember 1989 gegründet worden war, hatte den „Aufruf zur Aufnahme sowjetischer Juden in der DDR“ formuliert. Der Verein war im Kontakt mit sowjetischen Jüdinnen und Juden, die aus Angst vor der aufkommenden antijüdischen Stimmung in der Sowjetunion vermehrt anfragten, ob sie nach Deutschland einwandern könnten. Im Zuge des Zerfalles der Sowjetunion waren die dortigen Jüdinnen und Juden einem immer aggressiveren Antisemitismus ausgesetzt. Nachdem der Jüdische Kulturverein mit seinem Aufruf bereits beim Außenministerium der DDR der Regierung Modrow gescheitert war, wandten sie sich damit dann an den Runden Tisch.

Die Vertreterinnen und Vertreter am Runden Tisch stimmten am 12. Februar 1990 einstimmig dafür, den Antrag an den Ministerrat zu übergeben. Eine Reaktion der Regierung Modrow blieb jedoch aus, und der Beschluss wurde zunächst nicht umgesetzt. Erst nach den ersten freien Wahlen am 18. März 1990 wurde das Thema der jüdischen Einwanderer wieder aufgegriffen. Bereits im Mai 1990 öffnete die Regierung de Maizière die DDR-Grenze für alle, die sich in der Sowjetunion wegen ihrer jüdischen Herkunft oder Religiosität bedroht sahen. Bis Oktober 1990 reisten etwa 2.000 Menschen nach Ost-Berlin ein.

  • Gerd Poppe (damals Vertreter für die Intiative Frieden-  und Menschenrechte – IFM) berichtet, wieso der Antrag zur Aufnahme der sowjetischen Jüdinnen und Juden in der DDR am Zentralen Runden Tisch gestellt wurde.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

  • Markus Meckel (SPD) erläutert, wie es zum Beschluss zur Aufnahme der sowjetischen Jüdinnen und Juden in der DDR am Zentralen Runden Tisch kam.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

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Erinnern an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953

Erinnern an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953

Das offizielle Erinnern, Mahnen und Gedenken war in der DDR bis 1989 ausschließlich den Widerstandskämpfern gegen die nationalsozialistische Verfolgung gewidmet. In Westdeutschland und West-Berlin gab es bereits bis 1989 über 60 Gedenkzeichen, die vor allem an die deutsche Teilung, die Opfer des DDR-Grenzregimes oder an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR erinnerten. Zudem hatte der Deutsche Bundestag schon im August 1953, nur wenige Wochen nach dem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand in der DDR, den 17. Juni zum gesetzlichen Feiertag in Westdeutschland erhoben. Die DDR reagierte auf diesen westdeutschen Feiertag nicht, den Volksaufstand selbst verurteilte sie als „faschistische Konterrevolution“. In der jungen Bundesrepublik indessen nutzten Politikerinnen und Politiker den 17. Juni alljährlich zu einem feierlichen Bekenntnis zur deutschen Einheit. Heute gibt es rund 70 Erinnerungsorte in ganz Deutschland, die sich auf die Geschehnisse und die Opfer vom 17. Juni 1953 beziehen.

Ein Gedenken an die Geschehnisse und die Opfer des 17. Juni 1953 konnte in Ostdeutschland erst nach der deutschen Einheit entstehen. Welche Bedeutung der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 für viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger und insbesondere die Bürgerrechtsbewegungen hatte, zeigte sich in den Debatten am Zentralen Runden Tisch um eine neue Verfassung im Winter 1989/1990. Bereits in der ersten Sitzung des Zentralen Runden Tisches am 7. Dezember 1989 waren sich die 16 Vertreterinnen und Vertreter der alten und neuen politischen Kräfte einig, dass eine neue demokratische Verfassung nötig sei, über die die Bürgerinnen und Bürger symbolträchtig am 17. Juni 1990 entscheiden sollten.

Demonstrant haut mit Knüppel auf Panzer

Am 17. Juni 1953 gingen rund eine Million Menschen in mehr als 700 Städten und Gemeinden in der DDR auf die Straße, um gegen die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Der Aufstand wurde durch sowjetische Panzer mit Waffengewalt niedergeschlagen.

Diese Forderung wiederholte Bündnis 90/Grüne nochmals nach den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990. Auch wenn der Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches in der Volkskammer scheiterte, wurde zumindest das „Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR (Verfassungsgrundsätze)“ am 17. Juni 1990 beschlossen, in dem die bestehende DDR-Verfassung von 1974, um zehn Artikel ergänzt und die DDR somit zu einem freiheitlichen, demokratischen, föderativen, sozialen und ökologischen Rechtsstaat erklärt wurde. Zuvor hatte die Präsidentin der DDR-Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl, am selben Tag in das Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt zu einer Gedenkstunde eingeladen, in der die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der ersten freigewählten Volkskammer der DDR zusammenkamen, um der Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 zu gedenken.

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