OPFER
Bundestag 1990 – 1992
Nach Herstellung der deutschen Einheit beschäftigte sich der Bundestag weiterhin mit der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus. Doch auch die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des SED-Unrechts geriet bis 1992 immer stärker in den Fokus der Debatten des Parlaments.
Die Auswirkungen neuer zwischenstaatlicher Beziehungen auf die Frage der Entschädigung der NS-Opfer
In der Wahlperiode 11 (1987-1990) wurde vonseiten der Oppositionsfraktionen wiederholt angemahnt, hinsichtlich der Frage der Entschädigung der Opfer der NS-Diktatur Abkommen mit ostmittel- und osteuropäischen Ländern abzuschließen, wie dies in der Nachkriegszeit bereits mit westeuropäischen Staaten geschehen war. Diese Forderungen wurden in der Wahlperiode 12 fortgesetzt. Bilaterale Gespräche mit der Sowjetunion und den ehemaligen Ostblockstaaten standen nach Herstellung der deutschen Einheit ohnehin auf der politischen Tagesordnung.
Als am 15. März und am 25. April 1991 über das „Gesetz zum Vertrag vom 9. November 1990 zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion“ beraten wurde, merkten Vertreterinnen und Vertreter der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an, dass entschädigungsrechtliche Vereinbarungen, insbesondere hinsichtlich der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in der Sowjetunion lebten, nun folgen müssten.
Ähnliche Äußerungen wurden auch in den Beratungen zum „Gesetz zu dem Vertrag vom 17. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ am 6. September 1991 laut. Zu den Beratungen hatte die SPD-Fraktion einen Antrag vorgelegt, der u.a. eine Entschädigung der ehemaligen NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter unter Beteiligung der deutschen Wirtschaft anmahnte.
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte einen Entschließungsantrag „zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung am 6. September 1991 zu den deutsch-polnischen Verträgen“. Darin forderte die Gruppe den Bundestag auf, sein Bedauern zum Ausdruck zu bringen, dass der deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit keine Regelungen zur Entschädigung der polnischen NS-Opfer enthalte. Außerdem sei es bedauerlich, dass die Bundesregierung ihrer in der Wahlperiode 11 beschlossenen Pflicht, Härteregelungen mit Beteiligung der deutschen Wirtschaft für ehemalige NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter vorzulegen, noch immer nicht nachgekommen sei. Der Bundestag solle darüber hinaus, den Vorschlag der polnischen Regierung und von Verfolgtenverbänden aufgreifen, für die polnischen NS-Opfer eine „nationale Stiftung in Polen unter breiter gesellschaftlicher Beteiligung zu gründen, die die von der Bundesrepublik Deutschland geleisteten Entschädigungsleistungen an die Opfer verteilen soll.“ Der Bundestag solle außerdem aufgerufen werden, einen abstimmungsfähigen Vorschlag zu erarbeiten, wie die beabsichtigten Entschädigungsleistungen unter Einbeziehung der Wirtschaft gestaltete werden könnten.
In der Debatte am 6. September wurde von allen Fraktionen und Gruppen mit Ausnahme der Bundestagsfraktion der CDU/CSU auf die notwendige Zwangsarbeiter-Entschädigung eingegangen und eine Regelung angemahnt. Nicht nur die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion der SPD, sondern auch vonseiten der FDP wurde zusätzlich auf eine Beteiligung der deutschen Wirtschaft hingewiesen. Die Anträge wurden an die Ausschüsse überwiesen. Der Auswärtige Ausschuss empfahl am 16. Oktober 1991, die Anträge der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen.
Am 16. Oktober 1991 fand ein Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen zur Gewährung von 500 Mio. DM an die neugegründete „Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ statt. Die Stiftung gewährte Einmalbeihilfen an Personen, die während des Zweiten Weltkriegs durch nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen schwere Gesundheitsschäden erlitten haben und sich in einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Notlage befinden. In der Bundestagssitzung am selben Tag, stellte der SPD-Abgeordnete Norbert Gansel die Frage an die Bundesregierung, warum für die Finanzierung dieser Stiftung ausschließlich deutsche Steuergelder aufgewendet und die ehemaligen Nutznießer der Zwangsarbeit – deutsche Unternehmen – sich nicht an den Entschädigungen beteiligen würden. Der Sprecher der Bundesregierung entgegnete, dass die Bundesregierung die Unternehmen und Firmen aus rechtlichen Gründen nicht zwingen könne, sich an der Stiftung zu beteiligen.
Am selben Tag stellten sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die Bundestagsfraktion der SPD Änderungsanträge zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses. Nach CDU/CSU und FDP sollte der Bundestag die Errichtung einer „Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ begrüßen, die „gezielt Opfern nationalsozialistischer Verfolgung Hilfeleistung als abschließende humanitäre Geste“ gewähren wird. Auch die SPD begrüßte die Errichtung einer solchen Stiftung, sie forderte in ihrem Antrag, dass der Bundestag die deutschen Firmen, die von der Zwangsarbeit profitiert hatten, aufrufen solle, sich an der Finanzierung der Stiftung zu beteiligen.
Auch einen Tag später, am 17. Oktober 1991, beschäftigte das deutsch-polnische Vertragswerk den Bundestag. Hinsichtlich der Entschädigung der polnischen NS-Opfer wurde vonseiten der CDU/CSU die beschlossene Gründung der polnischen „Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ erneut als „abschließende humanitäre Geste“ bezeichnet. Die SPD lehnte diese Beurteilung ab, es könne keinen Abschluss mit der deutschen Geschichte geben. Sie begrüßte die Gründung der Stiftung und rief abermals die deutschen Unternehmen, die von der Zwangsarbeit profitiert hatten, auf, sich an der Stiftung zu beteiligen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN brachten ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die gegründete Stiftung in die Lage versetzt werde, den Opfern „möglichst weit entgegenzukommen“. Ulrich Briefs (PDS/Linke Liste) bezeichnete die Entschädigungsregelung als „billig; sie ist schäbig, um es klar zu sagen. Ich schäme mich als Abgeordneter dieses Parlaments für diese Regelung. […] 500 Millionen DM für über eine Million Betroffene! […] Diese Regelung ist dieses reichen Landes einfach unwürdig. Sie ist auch dieses Parlaments unwürdig.“
In der Abstimmung wurde der Antrag der SPD abgelehnt, der Antrag der Koalitionsfraktionen wurde mit der Beschlussempfehlung angenommen.
Sammelplatz für polnische Männer, die in Gdingen in Gefangenschaft der deutschen Okkupanten geraten sind. Die Aufnahme stammt aus dem September 1939.
Auf Regierungsebene kam es in den kommenden Jahren bis zum Ende des Jahrtausends zu mehreren Abkommen mit ostmittel- und osteuropäischen Staaten hinsichtlich der Entschädigung von NS-Opfern in den entsprechenden Ländern. So etwa 1993 mit Belarus, der Ukraine und der Russischen Föderation. Hier zahlte die Bundesrepublik insgesamt 1 Mrd. DM an die in den drei Ländern gegründete Stiftung „Verständigung und Aussöhnung“. 1995 kam es zu Entschädigungsregelungen mit Estland, 1996 mit Litauen, 1997 mit Tschechien und 1998 mit Lettland.
Im Januar 1998 fanden Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Claims Conference über einen finanziellen Beitrag der Bundesrepublik zu einem von der Claims Conference zu errichtenden Fonds zur Entschädigung von jüdischen NS-Verfolgten in mittel- und osteuropäischen Staaten statt.
Erst in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 27. August 1998 wurde die Einrichtung einer Bundesstiftung für die Entschädigung für NS-Zwangsarbeit unter Beteiligung der deutschen Industrie vereinbart. Am 2. August 2000 wurde schließlich das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft – EVZ verabschiedet.
Dokumente
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Antrag der SPD: Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen, DS 12/1105, 3.9.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung am 6.9.1991 zu den deutsch-polnischen Verträgen. DS 12/1119, 5.9.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu den deutsch-polnischen Verträgen, DS 12/1317, 16.10.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag der CDU/CSU und FDP zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, DS 12/1333, 16.10.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Entschließungsantrag der SPD zu den deutsch-polnischen Verträgen, DS 12/1319, 16.10.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
Das Entschädigungs-
rentengesetz
Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Dezember 1990 stand das Parlament in der Wahlperiode 12 vor der Herausforderung, dass viele Regelungen hinsichtlich einer Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus nun auf das Beitrittsgebiet übertragen werden mussten.
Nach dem Einigungsvertrag wurden die in der DDR für ausgewählte Personen gezahlten Ehrenpensionen für „Kämpfer gegen den Faschismus“ (1.700 DM/monatlich; als „Kämpfer gegen den Faschismus“ wurden Personen bezeichnet, die nicht nur während der NS-Zeit verfolgt wurden, sondern sich danach auch für die „Stärkung der Arbeiter- und Bauernmacht in der Deutschen Demokratischen Republik“ eingesetzt hatten) und für „Verfolgte des Faschismus“ (1.400 DM/monatlich) bis zum 31. Dezember 1991 im vereinten Deutschland weitergezahlt. Dann mussten neue gesetzliche Regelungen getroffen werden.
Das Bundeskabinett hatte sich bereits für eine Kürzung der monatlichen Renten auf 750 DM ausgesprochen. Diesem Thema widmete sich der von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP im Dezember 1991 eingereichte „Entwurf eines Gesetzes über Entschädigungsrenten für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (Entschädigungsrentengesetz)“.
Der Gesetzesentwurf umriss die Problemstellung wie folgt: Nach Ablauf der Frist des 31. Dezembers 1991 bedürfe es einer neuen gesetzlichen Regelung für die Ehrenpensionen. Jedoch seien einem Teil der Opfer des Nationalsozialismus in der früheren DDR in der Vergangenheit Ehrenpension oder andere Entschädigungsleistungen „in rechtsstaatwidriger Weise entzogen oder verweigert worden“. Zudem gebe es bisher keine Verfahrensregelung zur Kürzung oder Aberkennung von Ehrenpensionen, wenn die betreffende Person gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe.
Als Lösung schlugen die Fraktionen vor, die Ehrenpensionen als Entschädigungsrenten in Höhe von 1.400 DM monatlich weiterzuzahlen und nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu dynamisieren. Das bedeutete, dass keine Unterscheidung mehr zwischen „Kämpfern gegen den Faschismus“ und „Verfolgten des Faschismus“ vorgenommen wurde. In der alten Bundesrepublik hatten die Renten nach dem Bundesentschädigungsgesetz eine Höhe von 1.000 DM monatlich. Dieses Ungleichgewicht sollte durch die Dynamik der Rente (also die Erhöhung des auszuzahlenden Betrags nach Ablauf einer bestimmten Zeit) ausgeglichen werden. So sollten die 1.400 DM der Entschädigungsrenten erst dann dynamisiert werden, wenn die bundesdeutschen Renten durch Dynamisierung 1.400 DM erreicht hatten. Für Personen, für die in der DDR auf rechtsstaatswidrige Weise Wiedergutmachungsleistungen abgelehnt und entzogen worden seien, könnten Entschädigungsrenten neu bewilligt werden. Bei Personen, die gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hätten oder „in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht haben“, könnten die Entschädigungsrenten gekürzt oder aberkannt werden.
Der Gesetzesentwurf wurde am 12. Dezember 1991 im vereinfachten Verfahren an die Ausschüsse überwiesen.
Am 11. März 1992 legte der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung seine Beschlussempfehlung vor und empfahl, den interfraktionellen Gesetzesentwurf anzunehmen. Er schlug jedoch zusätzlich zu den Lösungsansätzen aus dem Entwurf vor, einen Auftrag an die Bundesregierung zum Erlass von Richtlinien für Härtefälle, die von der Gesetzgebung nicht erfasst worden waren, zu beschließen. Aus dem Bericht zur Beschlussempfehlung geht hervor, dass der Ausschuss davon ausging, dass eine Aberkennung von Leistungen nicht auf Grundlage einer generellen Überprüfung des gesamten Personenkreises erfolgen werde, sondern dass man insbesondere die „Kämpfer gegen den Faschismus“ und ehemalige Stasi-Mitarbeiterinnen oder -Mitarbeiter überprüfen werde. Im Ausschuss bestand darüber hinaus das Problembewusstsein, dass ein Teil der Personen – insbesondere die „Kämpfer gegen den Faschismus“ – zwar einerseits unter dem NS-Regime gelitten hätten, sich dann jedoch aktiv für das „Unrechtsregime“ DDR eingesetzt hätten. In der Bundesrepublik wurden jedoch in der Nachkriegszeit Personen die Entschädigungsleistung entsagt, wenn sie sich beispielsweise als Kommunistinnen oder Kommunisten gegen die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung aufgelehnt hatten. Insofern handle es sich bei dem Gesetzesentwurf um einen Kompromiss, der die „Grenzen dessen, was bei dieser Abwägung vertretbar sei, ausgelotet“ habe.
Über die Beschlussempfehlung debattierte der Bundestag am 13. März 1992. Hier zeigte sich ein breiter Konsens, da die Gesetzesinitiative von allen drei Bundestagsfraktionen ausgegangen war. Auch die Bundesregierung erklärte, dass sie die Gesetzesinitiative begrüße.
Vonseiten der Gruppe PDS/Linke Liste wurde kritisiert, dass man im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens auch Personen hätte berücksichtigen müssen, die zu den sogenannten „vergessenen Opfern“ gehörten. Namentlich genannt wurden Sinti und Roma, Homosexuelle, Zwangssterilisierte, Bibelforscherinnen und Bibelforscher, die auch in der DDR nicht als Opfer anerkannt worden waren. Außerdem kritisierte die PDS/Linke Liste das Überprüfungsverfahren zur Aberkennung der Renten. Das während des Nationalsozialismus erfahrene Unrecht dürfe nicht mit dem „Engagement für die Gestaltung der DDR“ aufgerechnet werden. Dies widerspreche der Rechtsstaatlichkeit.
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärte, dass sie den Regelungen überwiegend zustimmen könne. Explizit begrüßt werde die Gleichstellung von „Kämpfern“ und „Verfolgten“. Auch sie kritisierten aber, dass die „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus bei der Gesetzgebung hätten berücksichtigt werden können. Des Weiteren sprach sie sich gegen eine Anrechnung der Renten auf bereits geleistete Entschädigungszahlungen aus. Außerdem würden Witwen und Waisen nach dem Entschädigungsrentengesetz nur dann berücksichtigt, wenn sie arbeitsunfähig seien. Letzterer Kritikpunkt wurde von der SPD mit dem Hinweis entkräftet, dass sich die Witwen der Opfer inzwischen in einem Alter befänden, in dem die Arbeitsunfähigkeit durch einen „Blick auf das Geburtsjahr“ festgestellt werden könne.
Zu den benannten Kritikpunkten hatte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch zwei Änderungsanträge vorgelegt. Diese Änderungsanträge wurden in der Abstimmung abgelehnt. Der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung wurde gegen die Stimmen der PDS/Linken Liste angenommen. Das Gesetz trat am 22. April 1992 in Kraft.
Dokumente
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Gesetzentwurf der CDU/CSU, SPD und FDP: Entschädigungsrentengesetz, DS 12/1790, 11.12.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung: Entschädigungsrentengesetz, DS 12/2224, 11.3.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr. den interfraktionellen Entwurf zum Entschädigungsrentengesetz, DS 12/2249, 12.3.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr. den interfraktionellen Entwurf zum Entschädigungsrentengesetz, DS 12/2250, 12.3.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
Der Umgang mit Zwangsadoptionen in der DDR
Nach dem Einigungsvertrag konnten Anträge auf Aufhebung von in der DDR durchgeführten Zwangsadoptionen bis zum 2. Oktober 1991 gestellt werden. Am 13. Juni 1991 wurde von mehreren Vertreterinnen und Vertretern der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eine Fristverlängerung gefordert und beantragt. Der Antrag wurde am 19. Juni 1991 beraten.
Aus den zu Protokoll gegebenen Reden wird die Problematik ersichtlich: Die im Einigungsvertrag angegebene Frist könne in den meisten Fällen nicht eingehalten werden, da zunächst jeder Einzelfall überprüft werden und geklärt werden müsse, ob es sich tatsächlich um eine Zwangsadoption gehandelt habe oder ob auch nach bundesdeutschem Recht den Familien die Kinder entzogen worden wären. Auch könne es Fälle geben, bei denen die Eltern zwar der Adoption zugestimmt hätten, dies aber im Nachhinein bereuten und das Verfahren rückgängig machen wollten. Eine weitere Verzögerung der Verfahren sei auf den noch nicht wieder voll funktionsfähigen Behördenapparat in den neuen Ländern zurückzuführen. Die Bundesministerin für Familie und Senioren, Hannelore Rönsch, kündigte daher an, eine Fachkonferenz im Spätsommer 1991 zu veranstalten, um „den gesamten Problemkreis einmal umfassend und gründlich aufzuarbeiten“. Die Ministerin unterstützte daher den Antrag der Koalitionsfraktionen, die Frist zu verlängern oder sogar aufzuheben. Vonseiten der CDU/CSU wurde angemahnt, dass auch die Vollstrecker der Zwangsadoptionen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Die FDP plädierte auf eine mindestens dreijährige Fristverlängerung. Die SPD verurteilte Zwangsadoptionen während der SED-Diktatur, sie kritisierte jedoch, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen zu unpräzise sei. Es müsse deutlich werden, dass es um politisch motivierte Zwangsadoptionen gehe. Außerdem forderte die SPD zunächst eine „intensive Aufklärung durch die Bundesregierung und die zuständigen Behörden“. Aus Gründen der Rechtssicherheit sprach sich die SPD gegen eine Aufhebung der Antragsfrist auf, auch die Fristverlängerung bedürfe „sorgfältiger Prüfung“. Die PDS/Linke Liste trat für eine Aufhebung der Frist ein. Die betroffenen Kinder sollten nicht „als bloße Rechtsobjekte“ behandelt werden, sondern befragt werden, welcher Familie sie sich verbunden fühlten. Auch die Interessen der Adoptiveltern müssten „ohne jegliche Form der Kriminalisierung“ ebenso Gehör finden, da sie „keinen Einblick in die soziale Situation des zu adoptierenden Kindes hatten“. Die PDS/Linke Liste forderte eine Berichterstattung der Bundesregierung „über die Anzahl, die konkreten Ursachen und Umstände der staatlich vorgenommenen Adoptionen in der ehemaligen DDR sowie hinsichtlich der vorliegenden Anträge auf Aufhebung von Adoptionen.“ Vonseiten der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde keine Rede zu Protokoll gegeben. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, Rainer Funke, trat entschieden für eine Verlängerung, jedoch nicht für eine Aufhebung der Frist ein.
Der Antrag wurde in die Ausschüsse überwiesen.
Das Ehepaar Mubarak wurde 1971 am Grenzübergang Marienborn mit den Kindern André und Samir bei der Flucht verhaftet. Samir (1) kam in ein Kinderheim, André (3) nahmen für die Haftzeit entfernte Verwandte zu sich. Im Jahr 1973 wurden die Eheleute abgeschoben. Zwar durfte 1974 Samir zu den Eltern ausreisen, Bruder André nicht. Auf gerichtliche Anordnung adoptierten die Verwandten, ein kinderloses Ehepaar, den Jungen.
Anfang September 1991 folgte dann der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen (AdoptFristG)“. Der Entwurf zielte darauf ab, die Frist zur Antragsstellung für die leiblichen Eltern um zwei Jahre auf den 2. Oktober 1993 zu verlängern. Durch das Gesetz sollte eine Überprüfung aller nach dem Familiengesetzbuch der DDR durchgeführten Adoptionen, die keine Zustimmung der leiblichen Eltern erfordert hatten, ermöglicht werden. Auch die Adoptiveltern sollten auf eine Verstrickung in die politischen Motivationsgründe der Zwangsadoption überprüft werden. Die Interessen bzw. das Wohl des Kindes – das sich gegebenenfalls bereits an die Adoptiveltern gebunden fühlte – sollten bei jedem Verfahren eingehend geprüft werden. Wenn das Wohl des Kindes einer Aufhebung des Adoptionsverhältnisses im Wege stehe, solle das Verfahren nicht durchgeführt werden.
Über den Antrag wurde am 6. September 1991 beraten. Laut der Fraktion der CDU/CSU sei durch den Gesetzentwurf ein „optimaler Ausgleich zwischen den Interessen der leiblichen Eltern, deren Kinder zwangsadoptiert wurden, auf Wiederbegründung der familiären Einheit und den Interessen und dem Wohl des Kindes, das sich bereits über einen längeren Zeitraum und gut in seiner Adoptivfamilie eingelebt hat, gelungen“.
Die SPD erklärte, dass sie eine Verlängerung der Frist für notwendig halte. Es sei auch für die Kinder wichtig zu erfahren, dass ihre Eltern sie „nicht verraten und vernachläßigt“ hätten, selbst wenn sich die Kinder dafür entschieden, bei den Adoptiveltern zu bleiben. Über den genauen Verfahrensablauf könne im Rechtsauschuss noch diskutiert werden, um ihn für das Kind möglichst schonend zu gestalten. Letzterer Aspekt wurde auch von der FDP besonders betont.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärten, dass sie dem Gesetzentwurf zustimmen werden. Das Wohl des Kindes müsse oberste Priorität haben. Eltern, die den Antrag auf Aufhebung der Adoption stellten, sollten psychologische und seelsorgerische Unterstützung erfahren, falls sich das Kind dazu entschließe, bei den Adoptiveltern zu bleiben. Die Verantwortlichen für die Zwangsadoptionen müssten zur Verantwortung gezogen werden. Die ehemalige DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker, die sich zu diesem Zeitpunkt zusammen mit ihrem Mann in Moskau befand, müsse endlich den deutschen Behörden überstellt werden. Sie sei für diese Verbrechen „unmittelbar verantwortlich“.
Die PDS/Linke Liste kritisierte, dass der Entwurf eine Überprüfung aller Adoptionsfälle, die ohne Zustimmung der leiblichen Eltern erfolgt waren, vorsah. Man solle sich „nur auf eindeutig definierte politisch mißbräuchliche Fälle“ beschränken. Der durch das Gesetz ermöglichte Umfang der Überprüfung könne „in nicht zur rechtfertigender Weise die entstandenen Familienbindungen von mehr als 5 000 Familien verunsichern. Mit einem solchen Gesetz würde die von den Regierungsparteien allerorts betriebene politisch-moralische Demontage der Würde von Bürgern der ehemaligen DDR auf spezifische Weise rechtlich ergänzt.“ Alle Adoptiveltern der ehemaligen DDR, deren Adoptionsverhältnis ohne Zustimmung der leiblichen Eltern erfolgte, würden durch so ein Gesetz politisch diskriminiert.
Der Bundesminister der Justiz, Klaus Kinkel, erklärte, dass der Gesetzentwurf zwar von den Koalitionsfraktionen zur Debatte gestellt, jedoch in seinem Haus ausgearbeitet worden sei. Er begrüße die Zielsetzung ausdrücklich. Bei der festgelegten Fristverlängerung solle es nun aber auch bleiben, das Wohl des Kindes erfordere eine „rasche Klärung seiner künftigen persönlichen Verhältnisse“. Hinsichtlich der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geforderten Auslieferung von Margot Honecker stellte er klar, dass eine strafrechtliche Verurteilung nur dann erfolgen könne, wenn die persönliche Schuld bestehe und auch nachgewiesen werden könne. Gegen Margot Honecker laufe zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Ermittlungsverfahren, das müsse man „jedenfalls für den Augenblick“ auch akzeptieren.
Margot Honecker schreitet gemeinsam mit ihrem Ehemann Erich Honecker eine Menschenmenge ab. Daneben Erhard Krack, Oberbürgermeister von Ost-Berlin (SED). Aufnahme von einer Tagung des Warschauer Pakts im Jahr 1987.
Der Gesetzentwurf wurde an die Ausschüsse überwiesen. Bereits am 19. September 1991 lag die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Gesetzentwurf und dem ihm vorausgegangenen Antrag der Koalitionsfraktionen vor. Der Ausschuss empfahl, den Gesetzesentwurf unverändert anzunehmen und den Antrag für erledigt zu erklären. Zur Beschlussempfehlung brachte die Gruppe PDS/Linke Liste einen Änderungsantrag ein, der darauf abzielte, die Möglichkeit der Überprüfung von Adoptionsverfahren auf die Fälle zu beschränken, bei denen die „Einwilligung eines Elternteils nachweislich politisch mißbräuchlich durch staatliche Organe ersetzt worden“ war.
Am 25. September 1991 wurde über die Beschlussempfehlung beraten. Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen und Gruppen bekundeten in der Debatte ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf. Die PDS/Linke Liste wiederholte die Forderung ihres Änderungsantrags, erklärte jedoch, auch bei Ablehnung der Änderung, für das Gesetz zu stimmen.
Der Änderungsantrag der PDS/Linken Liste wurde in der Abstimmung abgelehnt. Der Gesetzesentwurf wurde einstimmig angenommen.
Dokumente
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Antrag von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP: Fristverlängerung zur Antragstellung auf Aufhebung von Zwangsadoptionen, DS 12/763, 13.6.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Gesetzentwurf von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen, DS 12/1106, 3.9.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen, DS 12/1165, 19.9.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag der PDS/Linken Liste: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen, DS 12/1191, 25.9.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
Der Weg zur Entschädigung und Rehabilitierung der SED-Opfer
Hinsichtlich der Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer der SED-Diktatur stand der Bundestag vor großen Aufgaben. Nach dem Einigungsvertrag galt einerseits das Kassationsrecht der DDR-Strafprozessordnung und andererseits der Teil des Rehabilitierungsgesetzes der Volkskammer, der die strafrechtliche Rehabilitierung von Geschädigten der SED-Diktatur betraf, übergangsweise als bundesdeutsches Recht fort. In Artikel 17 des Einigungsvertrags wurde jedoch festgelegt, dass im vereinten Deutschland „unverzüglich eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird, daß alle Personen rehabilitiert werden können, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind. Die Rehabilitierung dieser Opfer des SED-Unrechts-Regimes ist mit einer angemessenen Entschädigungsregelung zu verbinden.“
Zudem hatte der Bundestag in der Wahlperiode 11 auf eine Empfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit hin beschlossen, dass die Überprüfung nicht auf die in Artikel 17 genannten Fälle beschränkt bleiben dürfe.
Für die Ausgestaltung einer neuen gesetzlichen Regelung konnte man sich an drei bundesdeutschen Gesetzen orientieren. Erstens an dem aus den 1950er-Jahren stammenden Bundesentschädigungsgesetz (BEG) zur Entschädigung von NS-Opfern, zweitens an dem ebenfalls aus den 1950er-Jahren stammenden Häftlingshilfegesetz für Personen, die außerhalb der Bundesrepublik politisch verfolgt worden waren, und drittens am Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, das in den 1970er-Jahren in Kraft trat und die Entschädigung von Personen regelte, die in der Bundesrepublik inhaftiert worden waren und beispielsweise durch ein Wiederaufrollen des Verfahrens aus Mangel an Beweisen freikamen. Die drei gesetzlichen Regelungen sahen sehr unterschiedliche Entschädigungssummen vor. Nach dem BEG wurde pro Haftmonat eine Summe von 150 DM angesetzt, für das Häftlingshilfegesetz eine Summe von 80 DM pro Haftmonat und für das Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen 300 DM pro Haftmonat.
Das erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
Nach Herstellung der deutschen Einheit kam es in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion zu einem ersten Vorstoß hinsichtlich der Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der SED-Diktatur. Die Große Anfrage der SPD vom 27. Februar 1991 enthielt einen Katalog von 43 Fragen an die Bundesregierung. Der erste Teil befasste sich mit generellen Fragen zur aktuellen rechtlichen Lage der Rehabilitierung und zu den Vorstellungen der Bundesregierung hinsichtlich einer Umsetzung von Artikel 17 des Einigungsvertrags, wonach das Rehabilitierungsgesetz zu novellieren sei. Die SPD kritisierte, dass nicht alle Teile des Volkskammergesetzes übernommen worden waren, so würden nun Regelungen hinsichtlich der verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung fehlen. Weitere Fragenkomplexe befassten sich mit aktuellen Zahlen der Rehabilitierungsanträge, mit den voraussichtlichen Kosten, mit Verfahrensfragen und mit der „Rehabilitierung der von der sowjetischen Besatzungsmacht zu Unrecht Internierten und der aus politischen Gründen von sowjetischen Militärgerichten Verurteilten“.
Bereits im Mai 1991 stellte die SPD einen Antrag zur „Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechtsstaates“. Darin rief sie den Bundestag zu einer Erklärung auf, wonach das Rehabilitierungsgesetz gemäß Einigungsvertrag nun unverzüglich überprüft und neu geregelt werden müsse. Eine Verzögerung der Rehabilitierung führe zu Verbitterung bei den Opfern der kommunistischen Diktatur und des Stalinismus. Diese erwarteten von der rechtsstaatlichen Demokratie entschlossenes Handeln. Des Weiteren solle der Bundestag die in der Präambel des Rehabilitierungsgesetzes der Volkskammer festgehaltene Bedeutung der Rehabilitierung als „wesentliches Element der Politik zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft, des Staates und des Rechts“ bekräftigen. Der Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die „Mängel an Übersichtlichkeit und Systematik der vorhandenen Regelungen im Rehabilitierungsgesetz beseitigt“ und die Leistungen des in der Nachkriegszeit geschaffenen bundesdeutschen Häftlingshilfegesetz an die heutigen Lebensverhältnisse anpasst. Die Bundesregierung solle außerdem das bestehende Rehabilitierungsgesetz so novellieren, dass es die verwaltungsrechtliche und berufliche Rehabilitierung der Opfer der SED-Diktatur ermögliche und diejenigen Menschen einbeziehe, die in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von sowjetischen Besatzungsmächten inhaftiert worden waren.
Am 14. Mai 1991 erfolgte die erste Lesung des Antrags im Bundestag. Die SPD unterstrich, dass es ein großer Fehler gewesen sei, durch den Einigungsvertrag das Rehabilitierungsgesetz der Volkskammer beschnitten zu haben. Das Volkskammergesetz (auch wenn es nicht perfekt gewesen sei) hätte in der aktuellen Situation mehr Menschen zu Gerechtigkeit verholfen als der geltende „nach dem Einigungsvertrag übriggebliebene Torso“. Es müsse schnell zu einer neuen gesetzlichen Regelung kommen, man könne von den Opfern keine Geduld verlangen. Ein Rehabilitierungsgesetz sei eine wichtige Voraussetzung für die Demokratisierung der neuen Bundesländer. Auch die Fälle der Inhaftierung, Verschleppung und Tötungen in der SBZ müssten „unverzichtbarer Bestandteil eines künftigen, möglichst schnell zu beschließenden Rehabilitierungsgesetzes“ werden. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Klärung von Eigentumsfragen und die Entschädigung materieller Verluste viel schneller von der Bundesregierung umgesetzt worden sei, als die Entschädigung der Opfer der SED-Diktatur. Außerdem müsse der Bund die Kosten für die Rehabilitierung der Opfer übernehmen, eine Beteiligung der neuen Bundesländer könne durch die angespannte finanzielle Lage nicht erfolgen, auch wenn sie nach der Verfassung daran zu beteiligen seien. Des Weiteren sollten auch die Vermögenswerte der SED und der Blockparteien zur Rehabilitierung der Opfer herangezogen werden. Was in dieser Hinsicht in den letzten Monaten geschehen sei oder nicht, sei für das Parlament nicht ersichtlich. Die Bundesregierung müsse hier dringend Aufklärung leisten.
Auch die CDU/CSU drängte auf eine schnelle gesetzliche Regelung, und forderte die Bundesregierung auf, diese zu erarbeiten und sich dabei nicht auf die im Artikel 17 des Einigungsvertrags festgehaltenen Fälle zu beschränken. Beispielsweise seien die Widerstandskämpfer des 17. Junis 1953 in die aktuelle gesetzliche Regelung nicht einbezogen. Man solle sich an den Entschädigungsgesetzen der Nachkriegszeit hinsichtlich der NS-Opfer orientieren, diese Regelungen hätten beispielsweise auch berufliche Rehabilitationen und Entschädigung für Gesundheitsschäden umfasst. Da eine abschließende gesetzliche Regelung längere Zeit in Anspruch nehmen werde, müsse man Prioritäten setzen. Zunächst solle die Rehabilitierung der politischen Haftopfer erfolgen. Auch für die Opfer in der SBZ müssten schnell Regelungen gefunden werden, da sie bereits in einem fortgeschrittenen Alter seien. Zielsetzung des Deutschen Bundestags müsse es sein, zu einer gemeinsamen Lösung aller Fraktionen und Gruppen zu kommen.
Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) forderte, dass für die Opfer ein ähnlich hoher Betrag ausgegeben werden müsse, wie Ende der 1980er-Jahre von der Bundesregierung in Form eines Milliardenkredits an das DDR-Regime floss. Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kritisierte, dass die CDU verhindert habe, dass das Rehabilitierungsgesetz der Volkskammer ins vereinte Deutschland überführt worden sei. Die SPD habe in der Volkskammer diesem Vorgang zugestimmt, daher sei ihr Sinneswandel „erstaunlich“. In der neuen bundesdeutschen gesetzlichen Regelung müssten „die Intentionen des Rehabilitierungsgesetzes der DDR vom 6. September 1990 aufgegriffen und materiell umgesetzt werden.“ Schäden an Körper, Leben, Gesundheit, aber auch die vom SED-Regime verfolgte Behinderung von Bildungswegen und beruflichen Fortkommen müssten Berücksichtigung im Gesetz finden. Personen, denen eine Ausbildung in staatlichen Einrichtungen verwehrt worden sei und die stattdessen in kirchlichen Einrichtungen ausgebildet worden seien, sollten die Abschlüsse anerkannt werden. Beruflich Benachteiligten sollte darüber hinaus ein erleichterter Einstieg in bestimmte Berufe, wie etwa in den öffentlichen Dienst, gewährt werden. Eine Rehabilitierung sollten nicht nur Personen erhalten, die auf friedliche Weise Widerstand gegen das Regime geleistet hätten, sondern alle Personen, die dem Regime auch auf unfriedliche Weise (dazu gehörten schon Sitzblockaden) Widerstand geleistet hätten. Auch für die in der SBZ zu Unrecht Inhaftierten müssten Regelungen gefunden werden. Wenn es der Bundesregierung schwerfalle, eine gesetzliche Regelung zu erarbeiten, „weil Westpolitikern offensichtlich die Detailkenntnis von staatlichen Unrechtshandlungen in der ehemaligen DDR fehlt“, so sollten sie mit Opferverbänden (wie dem Bund der Stalinistisch Verfolgten) zusammenarbeiten. Köppe schloss mit der Mahnung: „Der beharrlich vorgetragene Ausspruch des Justizministers, es dürfen keine unerfüllbaren Hoffnungen geweckt werden, ist eine erneute Demütigung für die Opfer. Sie hoffen darauf, daß ihnen endlich Recht widerfährt. Sie werden so lange zweifelnd und fremd diesem Rechtsstaat gegenüberstehen, wie ihnen das Recht auf Rehabilitierung verwehrt wird.“
Klaus Kinkel, Bundesminister der Justiz, erklärte, dass es unverantwortlich sei, übereilte Regelungen zu treffen, „deren Folgen niemand absehen“ könne. Prioritäten müssten dort gesetzt werden, wo das Unrecht am schwersten gewesen sei und wo Hilfe „wirklich not tut“, beispielsweise aus Altersgründen. Kinkel schilderte die grundlegenden Probleme, warum die Verfahren nur sehr schleppend vorankämen: Erstens gebe es eine große Masse an Rehabilitierungsanträgen, zweitens fehlten bei den Anträgen oft Unterlagen und drittens fehlten in den neuen Bundesländern Richter. Zunächst müssten also genügend Richter aus den alten Bundesländern in die neuen entsandt und „fliegende Rehabilitierungssenate“ eingerichtet werden. Das geltende Recht, bestehend aus dem Rehabilitierungsgesetz nach dem Einigungsvertrag, dem Häftlingshilfegesetz und dem Vermögensgesetz, habe zahlreiche Lücken und Unklarheiten. Die Leistungssätze nach dem Häftlingshilfegesetz seien viel zu gering. Die Unterscheidung zwischen Rehabilitierungs- und Kassationsverfahren treffe „die willkürliche Rechtspraxis in der DDR nicht“. Für die strafrechtliche Rehabilitierung strebe die Bundesregierung deshalb eine sofortige Sonderregelung an, die Rehabilitierungsverfahren und Kassationsverfahren zu einem einheitlichen „Rechtsinstitut der erweiterten Rehabilitierung“ zusammenfasse. Außerdem solle das Verfahrensrecht vereinfacht und eine soziale Ausgleichsregelung geschaffen werden. Er wies die Kritik vonseiten der Abgeordneten zurück, man könne „Gesetze in diesen schwierigen Komplexen […] nicht aus dem Boden stampfen.“ Die Rehabilitierung und Entschädigung für Verwaltungsunrecht sei – mit Ausnahme der Opfer von Psychiatrieeinweisungen – noch nicht geregelt. Es sei sehr schwierig, hier Lösungen zu finden, da es in der DDR „Verwaltungshandeln in unserem rechtsstaatlichen Sinne […] überhaupt nicht gab. Verwaltungsmäßiges Handeln gegenüber dem Bürger wurde weitgehend auch durch nichtstaatliche Stellen, Parteidienststellen oder gesellschaftliche Einrichtungen bestimmt.“ Auch die berufliche Rehabilitierung bereite Schwierigkeiten, da es kein genaues Wissen über berufliche Repression während der DDR gebe und hier erst Klarheit geschaffen werden müsse. Urteile von sowjetischen Militärgerichten könnten aus völkerrechtlichen Gründen nicht aufgehoben werden, das könne nur die Sowjetunion. Vonseiten der Sowjetunion sei bereits angekündigt worden, dass sie bei begründeten Anträgen und Nachweisen Urteile aufheben werde. Für die sogenannten „Waldheimprozesse“ könnten die Urteile bereits aufgehoben werden. Selbstverständlich würden die Betroffenen aus den neuen Ländern in die Gesetzgebungsarbeit eingebunden.
Von der PDS/Linke Liste wurde das Anliegen des Antrags der SPD als „voll berechtigt“ eingestuft. Sie erinnerte an das Rehabilitierungsgesetz der Volkskammer, an dem auch die PDS mitgewirkt habe. Die PDS habe im Januar 1990 vom ehemaligen SED-Parteivermögen mehr als 3 Milliarden DM an die Treuhand überwiesen. Ein Teil dieser Gelder hätte man nun für die Finanzierung der Rehabilitierung der Opfer der SED-Diktatur einsetzen können. Jedoch sei damals die Treuhandanstalt und die Parteienkommission diesem Vorschlag nicht gefolgt. Hinsichtlich der Opfer aus der Zeit der SBZ hielt die PDS/Linke Liste die Beschränkung auf nur eine der vier Siegermächte im vereinten Deutschland für fragwürdig. Außerdem hätte es auch in den 1950er- und 1960er-Jahren in der Bundesrepublik Personen gegeben, die aus politischen Gründen inhaftiert worden seien. Andere wurden mit Berufsverboten belegt. Diese Personen „warten bis jetzt vergeblich auf Gerechtigkeit“.
Der Redebeitrag der PDS/Linken Liste wurde vonseiten der FDP als „Verhöhnung der Opfer der Diktatur der SED“ zurückgewiesen. Die Vorschläge des Bundesjustizministers hinsichtlich des sozialen Ausgleichs und einer Zusammenfassung von Rehabilitation und Kassation seien – so die FDP – unterstützenswert. Auch die FDP vertrat den Standpunkt, dass sich Entschädigungsleistungen der Opfer der SED-Diktatur an denen der NS-Opfer orientieren sollten. Es dürfe jedoch bei den Opfern der NS-Diktatur, insbesondere bei den Überlebenden der Konzentrationslager, nicht der Eindruck entstehen, ihr Leiden werde geringer bewertet als das der Opfer der SED-Diktatur. Angesichts der drängende Zeit sollte man Abstand von der Idee eines gesetzlichen „Gesamtpaketes“ nehmen. Insbesondere die Frage der beruflichen Rehabilitierung nehme aufgrund ihrer Komplexität mehr Zeit in Anspruch. Stattdessen sollten die „Chancen zu einer schnellen ersten Regelung […] genutzt werden.“ Dazu zähle die strafrechtliche Rehabilitation und Bereiche der verwaltungsrechtlichen Rehabilitation.
Der Antrag wurde an die Ausschüsse überwiesen.
Nachdem die Bundesregierung die Große Anfrage der SPD vom Februar 1991 am 14. August 1991 teilweise beantwortet und auf das zu diesem Zeitpunkt im Bundesministerium der Justiz in Erarbeitung befindliche „Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes Unrechtsbereinigungsgesetz)“ hingewiesen hatte, legte sie am 16. August 1991 den Entwurf zum „Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht“ zunächst dem Bundesrat vor. In der Zielsetzung erläuterte die Bundesregierung, dass „das Nebeneinander der beiden Rechtsbehelfe“ (einerseits Kassationsrecht und andererseits Rehabilitierungsgesetz nach dem Einigungsvertrag) zu „Unstimmigkeiten und Verzögerungen geführt habe“. Auch sei die Höhe der Entschädigungsleistung zu niedrig. Der Entwurf verfolge das Anliegen, „den durch den Entzug der Freiheit am schwersten Betroffenen vorrangig Genugtuung zu geben, ihnen durch vereinfachte Verfahren schneller zu ihrem Recht zu verhelfen sowie ihnen durch eine deutlich verbesserte Entschädigung und durch Versorgungsansprüche einen gewissen Ausgleich für das erlittene Unrecht anzubieten.“ Damit würden die Aufträge, die sich einerseits aus dem Artikel 17 des Einigungsvertrags und andererseits aus dem Beschluss des Ausschusses Deutsche Einheit erfüllt werden.
Für Personen, die durch deutsche Gerichte im Beitrittsgebiet rechtsstaatswidrig strafrechtlich verurteilt oder in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden waren, sollte die Möglichkeit zur Rehabilitierung und Entschädigung, und für Personen, die durch „Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht ihrer Freiheit beraubt worden“ waren, die Möglichkeit einer Entschädigung und Versorgung geschaffen werden. Alle, die auf rechtsstaatswidrige Weise in Haft geraten waren, sollten einen Grundbetrag von 300 DM pro Haftmonat erhalten. Dies sollte auch für Personen gelten, die bereits Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz erhalten hatten, diese Leistungen sollten dann angerechnet werden. Betroffene, die bis zum 9. November 1989 in der DDR gelebt hatten, sollten wegen der „haftbedingten, fortdauernden Benachteiligung“ einen Zuschlag von 150 DM pro Haftmonat erhalten. Wenn sich die betroffene Person in einer „besonders beeinträchtigten wirtschaftlichen Lage“ befinden sollte, könne die Entschädigung um 150 DM von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge aufgestockt werden. Angehörige, wie Ehepartnerinnen oder Ehepartner, Eltern und Kinder, konnten sofern sie selbst unter der Haft des oder der Betroffenen mitgelitten hatten, Unterstützungsleistungen in Höhe von 150 DM erhalten. Für haftbedingte Gesundheitsschäden war eine Versorgung über das Bundesversorgungsgesetz und für die Hinterbliebenen von in der Haft Verstorbenen eine Hinterbliebenenversorgung vorgesehen. Von den Leistungen sollten Personen ausgeschlossen werden, die gegen „die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht“ hätten. Die Verfahren zur Urteilsaufhebung sollten vereinfacht und beschleunigt werden. Die Kosten sollten von Bund und Ländern je zur Hälfte getragen werden. Dem Entwurf lag der Gedanke zugrunde, dass die Opfer der SED-Diktatur entschädigungsrechtlich mit den Opfern der NS-Diktatur gleichgestellt werden sollten. Daher orientierte sich der Entwurf – etwa bei der Bemessung der Höhe der Leistungen oder bei der Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern – an den Regelungen des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG).
Der Bundesrat bezog am 27. September 1991 Stellung zum Gesetzentwurf und regte bei zahlreichen Artikeln des Entwurfs Vorschläge zum weiteren Gesetzgebungsverfahren an. Zum Beispiel sollte geprüft werden, ob man die „Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen“ nicht in den Katalog der aufzuhebenden Strafbestände aufnehmen könnte. Die Entschädigung der Opfer der SED-Diktatur dürfe nicht großzügiger gestaltet werden als die der NS-Opfer. Einige Stellen im Entwurf seien von den Vorgaben im BEG abgewichen. Die Kosten sollten nicht zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden, da die neuen Bundesländer diese finanzielle Belastung nicht stemmen könnten. Stattdessen solle der Bund die gesamten Kosten tragen. Hinterbliebene von Personen, die in der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren, sollten den im Entwurf als Hinterbliebene definierte Personen (Angehörige von in der Haft Verstorbenen) gleichgestellt werden. Außerdem regte der Bundesrat an, eine Ergänzungsregelung auszuarbeiten, die sich der Entschädigung von Personen, die in der DDR zwangsumgesiedelt wurden, widmen sollte. Die Zwangsumgesiedelten könnten alternativ auch in einer nachfolgenden Gesetzgebung berücksichtigt werden.
Noch bevor der Gesetzentwurf auch dem Bundestag vorlag, stellte die SPD-Fraktion im Oktober eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, wie mit dem Schicksal der Zwangsumgesiedelten umzugehen sei. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die Zwangsumsiedlungen als Teil des DDR-Verwaltungsunrechts anzusehen seien. Um die „Komplexität und Vielfalt der Sachverhalte“ einschätzen zu können, sei es „unerläßlich, zunächst ein vollständiges Bild über die rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe zu gewinnen. Dies gilt vorrangig für die Zwangsaussiedlungsaktionen.“
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte Ende Oktober 1991 einen Antrag zur „Rehabilitierung und Entschädigung der Verfolgten des Stalinismus und des DDR-Regimes (I) – Gesetzliche Regelungen für die Opfer strafrechtlicher Verfolgung und Internierung“. Die Gruppe mahnte eine zügige gesetzliche Regelung zur Rehabilitierung und Entschädigung an. Sie erinnerte an den Artikel 17 des Einigungsvertrags und an die Personen, die durch die Regelungen im Einigungsvertrag ihren Anspruch auf Rehabilitierung verloren hätten, da sie Opfer von Verwaltungsunrecht und von beruflichen Repressionen gewesen seien. Die Opfer der sowjetischen Besatzungsmacht seien schon im Volkskammergesetz nicht berücksichtigt worden. Auch für sie müssten gesetzliche Regelungen getroffen werden. Der Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, den Entwurf des Ersten Unrechtsbereinigungsgesetzes in veränderter Form neu einzubringen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kritisierten, dass die Entschädigungssätze keinesfalls niedriger als 20 DM pro Hafttag sein sollten. Hinzu müsse ein Ausgleich für entstandenen materiellen Schaden kommen. Man müsse auch über zusätzliche Maßnahmen für besondere Härtefälle nachdenken, die die vorgesehene Einmalzahlung von 150 DM übersteigen sollte. Die Neuregelung sollte ferner keine Unterscheidung zwischen Personen treffen, die vor dem 9. November 1989 in der Bundesrepublik ihren Wohnsitz hatten und denen, die in der DDR weitergelebt hatten. Um eine Person von Leistungen ausschließen zu können, sollten nur dann Überprüfungen vorgenommen werden, wenn auch „tatsächliche Anhaltspunkte für die Beteiligung an Unrechtsmaßnahmen“ vorlägen. Zu den Angehörigen, die ebenfalls Leistungen beziehen könnten, sollten auch langjährige Lebenspartnerinnen bzw. -partner gezählt werden. Die Kosten sollte der Bund alleine tragen, da es den neuen Bundesländern finanziell nicht zumutbar sei, ihren Anteil zu leisten. Die weiteren Punkte des Antrags behandelten eine Konkretisierung der Aufhebung bestimmter Straftatbestände, u.a. sollten Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht in den Katalog der aufzuhebenden Taten aufgenommen werden. Außerdem sah der Antrag eine Ausweitung der Rechte der Antragstellerinnen und Antragsteller vor. Für die Rehabilitierungen derjenigen, die während des Bestehens der SBZ von sowjetischen Militärgerichten verurteilt worden waren, sollte die Bundesregierung Verhandlungen mit der Sowjetunion aufnehmen. Auch von sowjetischen Truppen verschleppte Personen sollten als Leistungsberechtigte berücksichtigt werden.
Am 15. November 1991 legte die Bundesregierung dem Bundestag dann den „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 1. SED-UnBerG)“ vor. Die Bundesregierung ging auf einige der Kritikpunkte des Bundesrats ein, so etwa der Gleichstellung der Hinterbliebenen von Getöteten aufgrund von Todesurteilen mit denen im Gesetzentwurf als Hinterbliebene definierte Personen. Andere Punkte wurden hingegen abgelehnt. Weder war die Bundesregierung bereit, die finanzielle Last alleine dem Bund aufzubürden, noch war sie bereit, Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen in den Katalog der zu rehabilitierenden Straftaten aufzunehmen. Die Bundesregierung begründete dies damit, dass es auch Rechtsstaaten, wie beispielsweise die Schweiz, gebe, in denen es kein Recht auf Wehrdienstverweigerung gebe. Außerdem hätte man in der DDR – sofern man aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe abgelehnt hätte – Bausoldat werden können.
Noch bevor es zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag kam, legte die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen weiteren Antrag unter dem Titel „Rehabilitierung und Entschädigung der Verfolgten des Stalinismus und des DDR-Regimes (II) – Gesetzliche Regelungen für die Opfer von Verwaltungsunrecht, Berufsverboten und anderen Formen von staatlichem Unrecht, die nicht vom Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz berücksichtigt werden“ vor. Der Antrag enthielt eine Aufzählung von Opfergruppen, die im Gesetzentwurf der Bundesregierung keine Berücksichtigung gefunden hatten. Genannt wurden die Zwangsausgesiedelten, die jenseits der Oder Deportierten, die nachweislich durch Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Berufsausübung nachhaltig Geschädigten und Personen, denen die Aufnahme oder der Abschluss eines Studiums oder einer anderen Ausbildung verwehrt worden war, der Aufstieg in eine höhere Position verweigert oder die degradiert, entlassen oder wegen oppositionellen Verhaltens von Familienmitgliedern in „Sippenhaft“ genommen worden waren. Der Antrag enthielt die Aufforderung, der Bundestag solle die Länder auffordern, die beruflich in der DDR Diskriminierten besonders zu fördern. Etwa sollten universitäre Abschlüsse erleichtert erworben und aberkannte Titel zuerkannt werden. Außerdem solle die Bundesregierung aufgefordert werden, bis zum 1. Mai 1992 einen Gesetzesentwurf zur Regelung von Rehabilitierungen und Entschädigungen für den genannten Personenkreis zu erarbeiten. Für dieses Gesetz wurden Grundvoraussetzungen genannt. Unter anderem wurde der Vorschlag unterbreitet, eine Stiftung des öffentlichen Rechtes zu gründen, die durch „unbürokratische materielle Unterstützung ein hohes Maß an Gerechtigkeit im Einzelfall, für all die Menschen […] die in besonderer Weise unter der Willkür des DDR-Regimes zu leiden hatten“, herstellen könnte. In die Gremien der Stiftung sollten Vertreterinnen und Vertreter von Opferverbänden aufgenommen werden und maßgeblichen Einfluss erhalten.
Am 5. Dezember 1991 kam es zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs, der Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Großen Anfrage der SPD.
Klaus Kinkel, Bundesminister der Justiz, erklärte zu Beginn der Debatte, dass die Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechtsregimes „eine der wichtigsten Aufgaben dieser Legislaturperiode“ sei. Der Gesetzentwurf verfolge zwei Ziele: Erstens solle die Aufhebung von Unrechtsurteilen wesentlich beschleunigt werden und zweitens sollten die Betroffenen schneller und besser entschädigt werden. In die Gesetzgebung seien die Opferverbände, die Landesjustizverwaltungen und die Richterinnen und Richter der Rehabilitierungs- und Kassationssenate einbezogen. Aus den zahlreichen Briefen, die Betroffene an die Bundesregierung geschrieben hätten, sei vieles in den Entwurf eingeflossen. Der Gesetzentwurf gehe von der Überprüfung jedes Einzelfalls aus. Eine Pauschalrehabilitierung könne es nicht geben, diese sei nicht schneller und produziere genauso viel Arbeit. Die Betroffenen hätten dann jedoch keine persönliche Bescheinigung über ihre politische Verfolgung und diese werde von vielen Menschen gefordert. Kinkel ging im weiteren Verlauf seiner Rede auf Einzelheiten des Gesetzentwurfs ein. So ging er etwa auf die Höhe der Leistungen ein, die Haftopfern nach dem Entwurf erhalten könnten. Den Opfern würden 300 DM pro Haftmonat gezahlt werden. Dieser Betrag orientiere sich an den bis Mitte der 1960er-Jahre gezahlten 150 DM pro Haftmonat für die Opfer der NS-Diktatur. Hinzu käme eine Zahlung für die „inzwischen eingetretene wirtschaftliche Entwicklung und den Geldwertverlust.“ Hinsichtlich der Opfer aus der ehemaligen SBZ seien bereits 500 Rehabilitierungsfälle an die Sowjetunion übergeben worden, die ihrerseits angekündigt habe, „in breitem Umfang zu rehabilitieren.“ Die Kostenaufteilung zwischen Bund und Ländern solle bestehen bleiben, das entspräche auch der Lösung aus dem Bundesentschädigungsgesetz. Die berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung hätte noch nicht in das Gesetz einfließen können, hier müssten noch Vorarbeiten geleistet werden. Im Bundesjustizministerium würden die „Überlegungen für eine künftige Regelung auf Hochtouren“ laufen. Auch hinsichtlich der Zwangsumgesiedelten müsse es bald zu gesetzlichen Lösungen kommen, man stehe im engen Austausch mit dem Verband der Zwangsausgesiedelten. In diesem Zuge müsse man jedoch auch die Menschen, die durch Zwangsarbeit oder durch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft benachteiligt worden seien, berücksichtigen. Kinkel äußerte Verständnis für den Unmut vieler Opfer, die sich schnellere gesetzliche Regelungen erhofft hatten. Er appellierte dafür, Verständnis mit dem Schicksal der Opfer aufzubringen. Die Betroffenen bat er, weiterhin Vertrauen in den Rechtsstaat zu setzen und „nicht in Bitterkeit zu verhärten.“ Es müsse gemeinsam ein Weg gefunden werden, Versöhnung und einen „inneren Frieden“ zu finden. Sonst würden „die Kräfte der Zukunft nicht frei, und wir schleppen die Lasten der Vergangenheit immer weiter mit uns mit.“ Kinkel schloss mit dem Appell an das Parlament, die Gesetzgebung so schnell es ginge voranzubringen, die Rehabilitierung der Opfer dulde keinen Aufschub.
Die SPD wiederholte ihre Kritik: Der Gesetzentwurf habe zu viel Zeit beansprucht. Es sei bedenklich, dass vermögensrechtliche Fragen sehr schnell geklärt werden konnten, jedoch die Fragen der Opfer der SED-Diktatur sehr viel länger gedauert hätten, um auf der Tagesordnung zu stehen. Die im Entwurf angestrebte Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren und die Entschädigungsleistungen für Geschädigte aus der Zeit der SBZ wurde begrüßt. Ferner seien die im Entwurf vorgesehenen Entscheidungen hinsichtlich der sogenannten „Waldheimer Prozesse“, die wegen der „besonders eklatanten Verstöße gegen grundlegende Verfahrensgarantien als nicht mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung vereinbar anzusehen sind“, zu begrüßen. Im Zuge der Beratung im Ausschuss solle geprüft werden, ob derartige Generalisierungen nicht auf andere Fälle auszuweiten seien. Der Ausschuss solle auch durch Betroffenenanhörungen prüfen, ob das Bedürfnis, die Rechtsstaatswidrigkeit der eigenen Verurteilung individuell anerkannt zu bekommen, unter den Opfern tatsächlich so verbreitet sei. Vielleicht gebe es auch Opfergruppen, die nicht noch einmal vor ein Gericht geladen und pauschal rehabilitiert werden möchten. Außerdem müsse geprüft werden, ob nach dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine generelle Aufhebung bestimmter Straftatbestände, die der Kriminalisierung politisch Andersdenkender diente, erfolgen könne. Die SPD mahnte an, den Gesetzestext in einer dem juristisch nicht vorgebildeten Bürger verständlichen Sprache zu verfassen. Die diplomatischen Bemühungen hinsichtlich einer Rehabilitierung der in der SBZ Geschädigten unterstütze die SPD, da sie auch einem friedlichen Zusammenleben in einem künftigen Europa dienen würden. Man müsse sich auch überlegen, ob man in den „Kreis der Entschädigungs- und Versorgungsberechtigten“ nicht auch die Menschen mit aufnehmen sollte, die Unrechtsmaßnahmen anderer Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden, erlitten hätten. Es ginge hierbei selbstverständlich nicht um Personen, die zu Recht als Nazi- und Kriegsverbrecher inhaftiert worden seien, sondern um Personen, die nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Nation verfolgt worden waren. Auch der Titel des Gesetzes stieß bei der SPD auf Unmut: Ersten könne Unrecht nicht bereinigt werden und zweitens sei nicht nur die SED, sondern auch alle anderen politischen Verantwortlichen, die der SED zugestimmt hatten, verantwortlich. Trotz der Mängel sei der Gesetzentwurf jedoch eine gute Grundlage zur Beratung in den Ausschüssen. Im federführenden Rechtsausschuss müsse es auf jeden Fall zu einer Anhörung der Betroffenen kommen.
Keine grundsätzliche Kritik am Gesetzentwurf kam von der CDU/CSU. Sie betonten noch einmal, dass man die diplomatischen Bemühungen zur Aufhebung der 25.000 bis 29.000 Unrechtsurteile durch die sowjetischen Militärtribunale vorantreiben müsse. Das zur Diskussion stehende Gesetz sei eine „Etappe“, auf die weitere Schritte folgen müssten.
Vonseiten der PDS/Linke Liste wurde angekündigt, die Bereiche im Gesetzentwurf zu unterstützen, die dazu dienten, Rehabilitierungsverfahren zu vereinfachen, und die Entschädigungsleistungen anzuheben. In Waldheim seien jedoch neben Unschuldigen auch NS- und Kriegsverbrecher verurteilt worden, daher müsse eine Einzelfallprüfung stattfinden. Bedauerlich sei, dass die Deserteure der Wehrmacht bis heute nicht rehabilitiert seien. Auch die „mehreren Tausend Opfer des Kalten Krieges“, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in der Bundesrepublik „wegen der Wahrnehmung von Grundrechten im Gefängnis gesessen“ hätten, würden noch auf Gerechtigkeit warten. Durch den Titel „Unrechtsbereinigungsgesetz“ und der Verwendung des Begriffs „Unrechtsregime“ im Gesetzentwurf stelle man die DDR mit dem NS-Regime auf eine Stufe. In der DDR seien „98 % der Strafgefangenen […] wegen unstrittiger krimineller Delikte in rechtsstaatlichen Verfahren verurteilt worden. […] In dem einen Jahr deutsche Einheit seien mehr Menschen von Entlassungen aus politischen Gründen betroffen als in der ganzen Geschichte der DDR.“ Teile des Gesetzesentwurfes entsprächen „westlicher Siegerjustiz“, da die bundesdeutsche Rechtsordnung als „Maßstab für das Handeln in der früheren DDR“ herangezogen werde.
Die Ausführungen der PDS/Linken Liste wurde von Vertretern der FDP und der SPD zurückgewiesen. Die Opfer der SED-Diktatur hätten sich für die freiheitlichen Grundrechte eingesetzt oder bzw. und wollten diese wahrnehmen. Im Gegensatz dazu hätten sich die in der Bundesrepublik Verurteilten gegen die Demokratie und den Rechtsstaat gestellt. Die PDS/Linke Liste verkenne die „tatsächliche Qualität des Unrechtsregimes in der DDR“.
Die FDP betonte, wie auch schon in der ersten Debatte hinsichtlich einer Rehabilitierung der Opfer der SED-Diktatur, dass diese nicht bessergestellt werden dürften als die Opfer der NS-Diktatur. Die finanziellen Mittel zur Entschädigung sollten zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden.
Im weiteren Verlauf der Debatte bestand Uneinigkeit darüber, ob die Stichtagsregelung, nach der Personen, die bis zum 9. November 1989 in der DDR noch wohnhaft waren, finanziell bessergestellt werden sollten, als Personen, die vor dem 9. November 1989 das Land verlassen hatten. Die FDP trat für diese Regelung ein, da die erstgenannten Personen auch nach Verbüßung ihrer Haft weiteren Diskriminierungen durch die SED ausgesetzt gewesen seien. Die SPD hingegen ging auf die Ungerechtigkeiten ein, die durch eine Stichtagsregelung hervorgerufen werden könnten: Warum sollten beispielsweise Personen, die im August 1989 in die Bundesrepublik übersiedeln konnten weniger Geld bekommen als Personen, die bis zum 9. November 1989 in der DDR geblieben waren?
Von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Parteien – wie SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wurde betont, wie wichtig eine Anhörung der Betroffenen für das weitere Gesetzgebungsverfahren sei. Hartmut Büttner (CDU/CSU) unterbreitete den Vorschlag, dass diese Anhörung in „Buchenwald, in Bautzen oder in Mühlhausen“ (also an den Orten der Repression) stattfinden könne. Vonseiten der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde noch einmal auf die Idee der Gründung einer Stiftung zur Entschädigung der Opfer hingewiesen.
Die Anträge wurden an die Ausschüsse verwiesen.
Der federführende Rechtsausschuss legte dann am 16. Juni 1992 seine Beschlussempfehlung vor. Er empfahl die Annahme des Gesetzentwurfs der Bundesregierung in der Ausschussfassung, die Anträge der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfahl er als erledigt zu erklären. Außerdem solle der Bundestag eine in der Beschlussempfehlung formulierte „Ehrenerklärung für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft“ abgeben. In dieser Erklärung solle dem „schweren Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen, denen durch die kommunistische Gewaltherrschaft Unrecht zugefügt wurde“ gewürdigt werden. Außerdem solle sich der Bundestag vor allen „Opfern kommunistischer Unrechtsmaßnahmen“ verneigen und denjenigen „Respekt und Dank“ bezeugen, „die durch ihr persönliches Opfer dazu beigetragen haben, nach über 40 Jahren das geteilte Deutschland in Freiheit wieder zu einen.“
Der Ausschuss hatte am Gesetzesentwurf der Bundesregierung einige Änderungen vorgenommen, so wurde beispielsweise Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung nun doch in den Katalog der aufzuhebenden Straftaten aufgenommen. Auch Tatbestände, wie Hochverrat und Spionage fanden Eingang in den Katalog, solange sie für die Bundesrepublik Deutschland oder einem ihr verbündeten Staat begangen worden waren. Unter § 18 wurden der bereits durch das Häftlingshilfegesetz ins Leben gerufenen Stiftung für ehemalige politische Häftlinge weitaus größere Kompetenzen zugesagt. Im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung konnten Betroffene über die Stiftung Härteleistungen von 150 DM pro Haftmonat erhalten, wenn die entsprechende Person nur noch vermindert erwerbstätig sein konnte. In der Ausschussfassung sollte der Stiftungsrat nun Richtlinien erarbeiten, in denen festgelegt werden sollte, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Härteleistungen gezahlt werden könnten.
Zu dieser Beschlussempfehlung legte die SPD-Bundestagsfraktion drei Änderungsanträge vor. Der eine Antrag zielte auf eine Erhöhung der Entschädigungssumme von im Gesetzentwurf vorgesehen 300 DM je angefangenen Haftmonat auf 600 DM. Diese Summe orientiere sich am bundesdeutschen „Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen“. Der zweite Antrag betraf eine Besserstellung der nächsten Angehörigen des oder der Betroffenen und der dritte Antrag forderte die Übernahme der Kosten der Entschädigung alleine durch den Bund.
Auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN brachte mehrere Änderungsanträge zum Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ein. Zwei Anträge widmeten sich dem Verfahren der Aufhebung von Tatbeständen, dieses sollte vereinfacht und dem Betroffenen mehr Rechte eingeräumt werden. In einem weiteren Änderungsantrag votierten auch die Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine Erhöhung der Entschädigungssumme, sie forderten 900 DM pro Haftmonat, und bezogen sich ebenfalls auf das bundesdeutsche „Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen“. Ein deutlich höherer Leistungssatz als in diesem Gesetz sei angemessen, „weil die Haft in DDR-Gefängnissen in besonderer Weise die Gebote der Menschenwürde verletzte und diese Pauschalsumme sowohl die immateriellen als auch die materiellen Schäden, die durch die Haft entstanden sind, umfaßt.“ Ein vierter Antrag sollte die Angehörigen der Betroffenen besserstellen. Der fünfte Antrag zielte darauf ab, die bei Kriegsende durch die Rote Armee zur Zwangsarbeit verschleppten Personen mit in die Entschädigungsgesetzgebung einzubeziehen.
Über die Beschlussempfehlung wurde symbolträchtig am Jahrestag des Volksaufstands in der DDR, dem 17. Juni 1992 debattiert und abgestimmt. Von Vertreterinnen und Vertretern aller politischer Kräfte mit Ausnahme der PDS/Linken Liste wurde kritisiert, dass die Entschädigungsleistung von 300 DM pro Haftmonat zu gering sei. Diese Kritik wurde vonseiten der CDU/CSU und der FDP nur von einzelnen Abgeordneten als persönliche Erklärung abgegeben. Vertreterinnen und Vertreter dieser beiden Fraktionen erklärten jedoch auch, dass eine höhere Entschädigung angesichts der großen Haushaltsausgaben, die durch die deutsche Einheit zu stemmen seien, nicht möglich sei. Dies wurde auch von der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dargelegt. Die Entschädigung könne ohnehin nur als Symbol angesehen werden, da das erlittenen Leid nicht durch Geld wiedergutzumachen sei. Von Vertreterinnen und Vertretern der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde hingegen argumentiert, dass die durch das „Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen“ in der Bundesrepublik Entschädigten weitaus höhere Summen erhielten und dass das nicht zur rechtfertigen sei. Von der SPD wurde die Meinung vertreten, dass selbst in der Nachkriegszeit (als die Mittel noch knapper gewesen seien) für das Bundesentschädigungsgesetz sehr viel mehr Geld ausgegeben worden sei.
Vonseiten der CDU/CSU und der Bundesregierung wurde bereits das „Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz“ angekündigt, dass sich der Rehabilitierung von Verwaltungsunrecht und beruflichen Repressionen sowie der Entschädigung von Zwangsumgesiedelten widmen sollte. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kündigte darüber hinaus an, dass eine Lösung für die von der Roten Armee verschleppten Personen erarbeitet werde.
Die in der Ausschussfassung festgelegte „Stiftungslösung“ wurde von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener politischer Kräfte wohlwollend zur Kenntnis genommen. Vonseiten der CDU/CSU wurde vorgeschlagen, das Vermögen der SED, der Blockparteien, des FDGB und des Bereichs Kommerzielle Koordinierung („KoKo“) für die Stiftung einzusetzen.
Die PDS/Linke Liste wiederholte ihre Kritik aus der ersten Lesung des Gesetzentwurfs. Insbesondere die im Rehabilitierungskatalog neu hinzugefügten Tatbestände, wie Hochverrat und Spionage, stießen bei der Gruppe auf Ablehnung. Jeder Staat verurteile Spionage, dass diese nun im Falle der Spionage für die Bundesrepublik und ihre Verbündeten als legitim anzusehen sei, sei ein Ausdruck einer generellen „Dämonisierung der DDR als Unrechtsstaat“. Diese diene dazu, die DDR mit dem NS-Regime gleichzusetzen.
Der Änderungsanträge der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurden abgelehnt, der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung angenommen.
Das Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz trat am 3. November 1992 und das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) und das Berufliche Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) enthielt, trat am 29. Juni 1994 in Kraft. Die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze wurden 2019 novelliert, entfristet und es wurden weitere Verbesserungen für die Opfer der SED-Diktatur aufgenommen.
Dokumente
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Große Anfrage der SPD: Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechts, DS 12/168, 27.2.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antrag der SPD: Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechtsstaats, DS 12/570, 13.5.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD, DS 12/1055, 14.8.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Kleine Anfrage der SPD: Rehabilitierung der vom SED-Regime Zwangsausgesiedelten, DS 12/1280, 9.10.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD: Rehabilitierung der vom SED-Regime Zwangsausgesiedelten, DS 12/1377, 24.10.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rehabilitierung und Entschädigung der Verfolgten des Stalinismus und des DDR-Regimes, ds 12/1439, 31.10.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/1608, 15.11.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rehabilitierung und Entschädigung der Verfolgten des Stalinismus und des DDR-Regimes (II), DS 12/1713, 4.12.1991. Quelle: Deutscher Bundestag
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Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2820, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag der SPD: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2822, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag der SPD: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2823, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag der SPD: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2824, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2826, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2827, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2828, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2829, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, DS 12/2830, 16.6.1992. Quelle: Deutscher Bundestag
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