VERFASSUNG
Volkskammer 1990
Nach den freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 veröffentlichte die Arbeitsgruppe „Neue Verfassung“ des Zentralen Runden Tisches im April 1990 einen Verfassungsentwurf, der die bestehende sozialistische Verfassung von 1974 ersetzen sollte. Der Zentrale Runde Tisch, der die Erarbeitung einer neuen Verfassung initiiert hatte, beauftragte die AG „Neue Verfassung“ in seiner letzten Sitzung am 12. März 1990, den Verfassungsentwurf fertigzustellen. Ziel der AG „Neue Verfassung“ war es, ihren Verfassungsentwurf in die erste frei und neu gewählte Volkskammer einzubringen.
Nachdem die ursprünglichen Bestrebungen, die DDR auf eigenständiger Grundlage demokratisch zu erneuern und umzugestalten – auch aufgrund des Drängens der Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung – dem der Umsetzung einer schnellen Einheit gewichen war, setzten sich die AG „Neue Verfassung“ sowie Bündnis 90/Grüne weiterhin für eine Demokratisierung der DDR ein. Die deutsche Einheit sollte nach Artikel 146 des Grundgesetzes und somit auf Grundlage einer neuen gesamtdeutschen Verfassung erfolgen.
Bereits in der konstituierenden Sitzung der ersten freigewählten Volkskammer versuchte die Fraktion Bündnis 90/Grüne, auch im Namen der AG „Neue Verfassung“ des Zentralen Runden Tisches, den Abgeordneten den Verfassungsentwurf vorzulegen. Über den Entwurf wurde jedoch erst durch eine von Bündnis 90/Grüne beantragte aktuelle Stunde der Volkskammer, in der Themen von allgemeinem aktuellem Interesse diskutiert wurden, am 19. April 1990 debattiert.
Gerd Poppe (Bündnis 90/Grüne), selbst Teil der AG „Neue Verfassung“, schlug in dieser Sitzung vor, den Verfassungsentwurf als vorläufiges Grundgesetz für die DDR einzusetzen. Außerdem sollte nach einer öffentlichen Diskussion am 17. Juni 1990 mit einem Volksentscheid über die neue Verfassung entschieden werden. Die „Allianz für Deutschland“, bestehend aus CDU, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutscher Sozialer Union (DSU), sprach sich in dieser Sitzung klar gegen eine neue Verfassung aus. Nach dem überraschenden Wahlerfolg bei den ersten freien Volkskammerwahlen vom 18. März forcierte die Regierungskoalition, bestehend aus CDU, DSU, DA und SPD, mit den Liberalen eine schnelle Einheit nach Artikel 23 Grundgesetz ohne Einsetzung einer neuen Verfassung.
Auch die SPD, die sich während des Wahlkampfes noch für den Artikel 146 ausgesprochen hatte, musste sich nach dem ernüchternden Wahlergebnis als Teil der Regierungskoalition zu Artikel 23 bekennen. Letztlich lobten die Vertreter der SPD die Verfassungsinhalte des Entwurfes des Zentralen Runden Tisches, sprachen sich aber gegen die Einsetzung der Verfassung aus. Eine Debatte über den Artikel 146 könne nach der Einheit in einem geeinten Deutschland fortgeführt werden. Nur die PDS sprach sich ebenfalls für eine neue Verfassung aus. Zu einer wirklichen inhaltlichen Debatte über den Verfassungsentwurf kam es in dieser aktuellen Stunde am 19. April 1990 nicht.
Dokument
-
AG „Neue Verfassung“: Anschreiben an die Volkskammerabgeordneten. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Vorlass Markus Meckel, Nr. 62.
Eine neue Verfassung für die DDR?
Zu einer entscheidenden parlamentarischen Abstimmung, ob der Verfassungsentwurf zur Diskussion in den Verfassungsausschuss überwiesen werden sollte oder nicht, kam es in der 5. Sitzung am 26. April 1990. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne wiederholte ihre Forderungen auf Einsetzung des Verfassungsentwurfes als vorläufiges Grundgesetz und der Durchführung einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung am 17. Juni 1990 in zwei Anträgen. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne wandte sich damit auch gegen Pläne der Regierungskoalition, die statt einer neuen Verfassung „paketweise Änderungen“ an der bestehenden DDR-(Unrechts-)Verfassung von 1974 verabschieden wollte. Die Anträge wurden letztendlich mit vier Enthaltungen, bei 167 Ja-Stimmen und 179 Nein-Stimmen mit knapper Mehrheit abgelehnt. Der Verfassungsentwurf schaffte es damit nicht, in den Verfassungsausschuss überwiesen und inhaltlich diskutiert zu werden.
Dokumente
-
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne: Inkraftsetzung eines vorläufigen Grundgesetzes für die DDR, DS 9, 24.4.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 30, Bl. 35-36.
-
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne: Volksabstimmung über eine neue Verfassung, DS 10, 24.4.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 30, Bl. 37-39.
Für viele der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler war dies ein äußerst schmerzhaftes parlamentarisches Ende der Bestrebungen für eine neue Verfassung. Dies zeigte sich auch in vereinzelten Protestaktionen in den folgenden Wochen. In der 9. Sitzung am 31. Mai 1990 debattierte die Volkskammer gerade über die Entfernung der Staatswappen von öffentlichen Gebäuden, als ein Transparent auf der Zuschauertribüne entrollt wurde, auf dem u. a. eine Volksabstimmung über die Verfassung gefordert wurde. Zahlreiche Abgeordnete von PDS und Bündnis 90/Grüne und einzelne Abgeordnete der SPD erhoben sich von den Plätzen und spendeten Beifall. Daraufhin wurde die Tribüne geräumt. Werner Schulz (Bündnis 90/Grüne) übergab in der 17. Sitzung am 22. Juni 1990 eine Petition mit rund 200.000 Unterschriften, die einen Volksentscheid zum Verfassungsentwurf des Runden Tisches forderte, an das Präsidium der Volkskammer. Diese Protestaktionen beschränkten sich dabei auf das kleine Lager der Bürgerbewegung. Innerhalb der Mehrheit der DDR-Bevölkerung entstanden keine größeren Proteste für eine neue Verfassung.
Am 31.5.90 wurde während der 9. Sitzung der Volkskammer ein Transparent auf der Zuschauertribüne entrollt, auf dem u. a. eine Volksabstimmung über die Verfassung gefordert wurde.
Der Verfassungsentwurf der Regierung de Maizière
Nachdem der Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches in der Volkskammer am 26. April scheiterte, gab es noch einen überaus eiligen Versuch von Seiten der Regierung de Maizière, doch noch eine neue DDR-Verfassung zu schaffen. Die bisher bestehende sozialistische DDR-Verfassung stammte aus dem Jahr 1974 und war eine überarbeitete Fassung der ausdrücklich sozialistisch ausgerichteten Verfassung von 1968, in der der Führungsanspruch der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) festgeschrieben war. Der Führungsanspruch der SED war zwar schon am 1. Dezember 1989 entfernt worden, sonst hatte diese (Unrechts-)Verfassung jedoch ihre Gültigkeit behalten, was u. a. Bündnis 90/Grüne immer wieder kritisiert hatten. Der Ministerrat beauftragte daher noch am selben Tag Justizminister Kurt Wünsche, einen Entwurf einer demokratischen Übergangsverfassung, die einen Kompromiss zwischen der DDR-Verfassung von 1949 und dem Entwurf des Runden Tisches darstellen sollte, zu erarbeiten. Die Verfassung von 1949 war die erste, die im Gründungsjahr der DDR eingesetzt wurde. Sie lehnte sich noch stark an die Weimarer Reichsverfassung an. Demnach war die DDR ein demokratischer, parlamentarischer und föderaler Rechtsstaat, auch wenn die tatsächlichen Machtverhältnisse sich in der Verfassung nicht widerspiegelten. Nach Festigung der Macht des SED-Regimes wurde die alte Verfassung 1968 durch die neue, ausdrücklich sozialistisch ausgerichtete Verfassung ersetzt.
Für die Erarbeitung der Übergangsverfassung wurde eine „Kommission zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes für die DDR“ vornehmlich aus Juristinnen und Juristen sowie Verfassungsexpertinnen und -experten aus Ost und West zusammengestellt. Am Freitag, den 5. Mai 1990, konstituierte sich die Kommission und sollte noch am selben Wochenende ihren Auftrag abschließen, da der Justizminister den Entwurf bereits am Montag an den Ministerrat weiterleiten wollte. Nach den Beratungen im Ministerrat sollte der Entwurf als Regierungsinitiative in die Volkskammer eingebracht werden.
Die Kommission schaffte es schließlich tatsächlich, in den frühen Morgenstunden des 7. Mai einen Entwurf eines „vorläufigen Grundgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik“ vorzulegen, der auch „Wünsche-Entwurf“ genannt wurde. Da der Kommission von vornherein klar war, dass es in der Kürze der Zeit zu wenigen Übereinstimmungen kommen konnte, erhielt jedes Mitglied Vetorechte und nicht konsensfähige Formulierungen wurden in eckige Klammern gesetzt. Diese Klammern veranschaulichen die vielfältigen Konfliktlinien der Verfassungspolitik dieser Tage. Während die Vertreterinnen und Vertreter der CDU aus Zeitgründen weitestgehend für die Rückkehr zur Verfassung von 1949 plädierten, wurden die Vertreterinnen und Vertreter, die sich für den Verfassungsentwurf des Runden Tisches stark machten, u. a. von Bonner Ministerialbeamten gemäßigt. So schrieb die taz in einem Artikel über den Verfassungsentwurf treffend: „Je nach Betrachtungsweise ist es ein Dokument des Bonner Diktates oder das letzte Aufbäumen gegen dieses Diktat.“
Letztendlich konnte sich der Entwurf innerhalb der CDU-Fraktion nicht durchsetzen. Eine neue Verfassung hätte den Einigungsprozess sowohl verlängert als auch erschwert. Lothar de Maizière wurde dabei nicht zuletzt vom Verhandlungsführer auf DDR-Seite Günther Krause überzeugt, weder den „Wünsche-Entwurf“ noch irgendeinen sonstigen Verfassungsentwurf in die Volkskammer einzubringen. Damit war auch auf exekutiver Seite die Kraft und der Wille erschöpft, eine eigene Verfassung zu gestalten.
Dokument
-
Ministerrat der DDR: Das vorläufige Grundgesetz der DDR („Wünsche-Entwurf“), 28.5.1990. Quelle: BArch DC 20/8966.
Für eine neue Verfassung und gegen den Staatsvertrag demonstrierten am Abend des 31.5.1990 einige tausend Bürgerinnen und Bürger im Berliner Lustgarten.
Verfassungsgrundsätze statt neuer Verfassung
Am 17. Juni 1990 wurde das „Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR (Verfassungsgrundsätze)“ trotz scharfer Kritik auf Seiten von Bündnis 90/Grüne und PDS beschlossen. Wolfgang Ullmann von Bündnis 90/Grüne hatte noch dafür plädiert statt der Verfassungsgrundsätze das Grundgesetz der Bundesrepublik schon vor der deutschen Einheit schrittweise einzuführen, um grundlegende Rechte wie Grundrechte und den Schutz des Eigentums zu sichern. Stattdessen wurde die bestehende DDR-Verfassung von 1974 in einem juristisch bedenklichen Verfahren, um zehn Artikel ergänzt. Die DDR wurde somit zu einem freiheitlichen, demokratischen, föderativen, sozialen und ökologischen Rechtsstaat erklärt, woraus sich entsprechende weitere Änderungen der Verfassung von 1974 ergaben und unter anderem die Gewährleistung von Eigentum, wirtschaftlicher Handlungsfreiheit und unabhängiger Rechtsprechung festgeschrieben wurde. Wichtig war auch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Bundesrepublik, damit die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 realisiert werden konnte.
Dokument
-
Antrag des Ministerrates der DDR: Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR (Verfassungsgrundsätze), DS 19, 9.5.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 30, Bl. 169-172
Marianne Birthler resümiert, warum sie sich damals für eine neue Verfassung eingesetzt hat.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.
Das Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder
Zu dieser Zeit entstanden auch außerparlamentarische Initiativen für eine neue Verfassung. So gründete sich am 16. Juni 1990 eine Bürgerinitiative, die sich das „Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“ nannte und aus ostdeutschen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern sowie westdeutschen Politikerinnen und Politikern sowie Intellektuellen bestand. Dieser ersten gesamtdeutschen Bürgerinitiative gehörten knapp 200 Mitglieder an. Zu ihnen zählten Persönlichkeiten wie Wolf Biermann, Gerd Poppe, Marianne Birthler, Jürgen Habermas und Wolfgang Ullmann. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne sprach in mehreren Sitzungen der Volkskammer ihre Unterstützung für die Arbeit des Kuratoriums aus. Ziel der Initiative war die Einberufung einer deutsch-deutschen verfassungsgebenden Versammlung. Diese sollte eine neue gesamtdeutsche Verfassung erarbeiten, die dann von den Bürgerinnen und Bürgern durch einen Volksentscheid angenommen werden sollte. Nach Ablehnung durch die Volkskammer wurden hier die Vorstellungen des Verfassungsentwurfes des Zentralen Runden Tisches der DDR aufgegriffen. Die Initiative arbeitete von Juni 1990 bis Juni 1991 an einem eigenen Verfassungsentwurf, an dem sich in Veranstaltungen auch insgesamt über 2.000 Bürgerinnen und Bürger beteiligten. Als Resultat präsentierte das Kuratorium im Juli 1991 der Öffentlichkeit einen Verfassungsentwurf. Der Entwurf konnte sich jedoch im gesamtdeutschen Parlament nicht durchsetzen.
Wolfgang Ullmann, Abgeordneter der Volkskammer und Mitglied des Kuratoriums, im Gespräch mit Demonstranten am Rande des Staatsaktes zur Vereinigung am 3. Oktober 1990.
Dokumente
-
Autorinnen und Autoren des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches: Aufruf zur Gründung für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder, 25.5.1990. Quelle: Stiftung Aufarbeitung, Nachlass Hermann Weber.
-
Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder: Verfassungsentwurf, 18.5.1991. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/GP 037.
Die Debatten um den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland
Am 23. August 1990 beschloss die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gemäß Artikel 23 Grundgesetz. Die inhaltlichen Verhandlungen um den Beitritt und den Einigungsvertrag fanden primär auf Regierungsebene mit der Bundesrepublik und den Siegermächten und nicht auf Parlamentsebene statt. Dies löste immer wieder heftige Kritik insbesondere innerhalb der Oppositionsparteien in der Volkskammer aus. Auch in den Wochen vor dem Beitrittsbeschluss waren emotionale Debatten in der Volkskammer um die deutsche Einheit geführt worden. Dabei ging es aber weniger um inhaltliche Aspekte des Beitrittes wie das „Ob“ und „Wie“, sondern vielmehr um das „Wann“ des Beitrittes.
Angesichts der instabilen wirtschaftlichen Lage im Land forderten die Liberalen und die SPD, die DDR solle noch vor den für den 2. Dezember 1990 geplanten gesamtdeutschen Wahlen der Bundesrepublik beitreten. Die Fraktion der Deutschen Sozialen Union (DSU) plädierte am 17. Juni 1990 gar für den sofortigen Beitritt. Beides lehnte de Maizière zunächst ab. Er hielt am ursprünglichen Fahrplan zur deutschen Einheit fest, der einen Beitritt erst nach den Wahlen im Dezember vorsah. Im Sommer 1990 stand die DDR jedoch kurz vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Nach Absprache mit Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) versuchte der ostdeutsche Regierungschef nun, sich mit den Spitzen der anderen Fraktionen in der Volkskammer auf den 14. Oktober 1990 als Beitrittstermin zu einigen.
Doch die SPD bestand auf den 15. September als Beitrittsdatum. Auch Bündnis 90/Grüne und PDS erteilten de Maizière eine Absage. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne beharrte auf dem 2. Dezember als Wahl- und Beitrittsdatum. Mitten in die Verhandlungen zur deutschen Einheit fiel zudem die Koalitionskrise der DDR-Regierung, was den Verhandlungsdruck erhöhte: Nachdem Ministerpräsident Lothar de Maizière am 16. August mehrere Minister aus ihren Ämtern entlassen hatte, darunter auch Finanzminister Walter Romberg von der SPD, verließen am 20. August 1990 aus Protest alle übrigen SPD-Ministerinnen und Minister die Regierung.
Ministerpräsident Lothar de Maizière gelang es am 17. Juni 1990 nur mit Mühe, eine unmittelbare Abstimmung über den Antrag der DSU für einen sofortigen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zu verhindern.
Quelle: Deutscher Bundestag.
Dokumente
-
Antrag der Fraktion der Liberalen: Beitritt nach Artikel 23 mit Wirkung vom 1. Dezember 1990, DS 148, 10.7.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 35, Bl. 328.
-
Beschlussempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit: Antrag der Fraktion der DSU vom 17. Juni 1990, DS 178, 8.8.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 62-63.
-
Antrag der Fraktion der CDU/DA, DSU, DA: Beitritt der DDR zur BRD am 14. Oktober 1990, DS 177, 7.8.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 60-61.
-
Antrag der Fraktion der SPD: Beitritt der DDR gemäß Artikel 23 bis zum 15. September 1990, DS 176, 7.8.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 59.
Die historische Nacht vom 22. auf den 23. August 1990
In einer Sondersitzung am 22. August, die Ministerpräsident Lothar de Maizière nach der regulären Sitzung beantragt hatte, sollte der endgültige Beitrittstermin geklärt werden. Günther Krause (CDU) ergriff in dieser Sitzung das Wort und signalisierte erstmals Gesprächsbereitschaft seiner Fraktion über einen Beitritt zum 3. Oktober 1990. Ein früherer Beitritt sei jedoch nicht möglich, weil man erst noch das Außenministertreffen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 1. und 2. Oktober in New York abwarten müsse, bei dem die 35 Mitgliedsstaaten offiziell von den Vereinbarungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages in Kenntnis gesetzt werden sollten.
Schließlich einigten sich die Fraktionsspitzen von CDU/DA, DSU, F.D.P. und SPD auf einen gemeinsamen Abänderungsantrag, der den 3. Oktober als Beitrittstermin vorsah:
„Gemeinsamer Antrag der Fraktion der CDU/DA, DSU, F.D.P. und SPD. Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990. Sie geht dabei davon aus, daß die Beratungen zum Einigungsvertrag zu diesem Termin abgeschlossen sind, die 2+4 Verhandlungen einen Stand erreicht haben, der die außen- und sicherheitspolitischen Bedingungen der deutschen Einheit regelt, die Länderbildung soweit vorbereitet ist, daß die Wahl in den Länderparlamenten am 14. Oktober 1990 durchgeführt werden kann.“
Mit 363 Ja-Stimmen gegen 62 Nein-Stimmen bei sieben Enthaltungen stimmten die Volkskammer-Abgeordneten für diesen Antrag und damit für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses gegen 2:45 Uhr erhoben sich die meisten Abgeordneten der beteiligten Fraktionen und applaudierten.
Dokumente
-
Antrag der Fraktion der DSU: Beitritt der DDR gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes, DS 200, 22.8.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 305.
-
Antrag von mehr als 20 Abgeordneten der Fraktion CDU/DA: Beitritt der DDR mit Wirkung vom 14. Oktober 1990, DS 201, 22.8.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 306.
In einer Sondersitzung in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1990 beschloss die Volkskammer mit 294 Stimmen, bei 62 Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 GG zum 3. Oktober 1990.
Quelle: Deutscher Bundestag.
Verhandlungen zum Einigungsvertrag
Nach dem Beitrittsbeschluss wurden die Verhandlungen um den Einigungsvertrag auf Regierungsebene fortgesetzt. Die offiziellen Verhandlungen begannen bereits am 6. Juli 1990 in Ost-Berlin. Leiter der DDR-Delegation waren Ministerpräsident Lothar de Maizière und der Parlamentarische Staatssekretär Günther Krause. Die bundesdeutsche Delegation leitete der Bundesminister des Inneren, Wolfgang Schäuble. Während Fragen der Beitrittsmodalitäten relativ schnell geklärt werden konnten, waren andere Themenkomplexe wie die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch, die Hauptstadtfrage, die offenen Vermögensfragen oder die Übertragung des bundesdeutschen Rechtes Gegenstand intensiver Verhandlungen. Am Morgen des 31. August 1990 stimmten schließlich der DDR-Ministerrat und das Bundeskabinett dem Einigungsvertrag zu. Günther Krause und Wolfgang Schäuble unterschrieben den Vertrag. Nach der Unterzeichnung musste der Einigungsvertrag noch von beiden deutschen Parlamenten ratifiziert werden. In den folgenden Wochen fanden in der Volkskammer Nachverhandlungen zum Einigungsvertrag, u. a. um den weiteren Umgang mit den Akten der Staatssicherheit, statt. Vor allem die Oppositionsparteien kritisierten, dass die Parlamente in den Verhandlungen übergangen und die Entscheidungen der Volkskammer nicht berücksichtigt wurden. Die Fraktionen Bündnis 90/Grüne und PDS übten dabei erneut starke Kritik an der Einigung nach Artikel 23.
Die Fraktion der SPD hielt an der Einheit nach Artikel 23 fest. Sie betonte aber, dass dank der Sozialdemokraten im Einigungsvertrag festgelegt wurde, dass der Artikel 146 des Grundgesetzes nicht gestrichen werden sollte. So bliebe „der Weg zu einer vom vereinten deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossenen Verfassung erhalten“.
In der DDR-Volkskammer stimmten am 20. September 1990 schließlich 299 Abgeordnete für den überarbeiteten Einigungsvertrag, 80 Abgeordnete mehrheitlich aus den Reihen der PDS und Bündnis 90/Grüne dagegen, zudem gab es eine Stimmenthaltung. Im Bundestag fand der Einigungsvertrag ebenfalls eine große Mehrheit, hier waren es Teile der GRÜNEN und 13 Abgeordnete der Unionsfraktion, die sich gegen den Vertrag stellten. Der Bundesrat stimmte dem Einigungsvertrag am 21. September zu. Bundespräsident Richard von Weizsäcker unterschrieb das Gesetz zum Einigungsvertrag zwei Tage später. Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, trat das Gesetz in Kraft.
Dokumente
-
Antrag des Ministerrates: Einigungsvertrag (1. Lesung), DS 217, 4.9.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 430-431.
-
Beschlussempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit: Einigungsvertrag (2. Lesung), DS 217 a, 19.9.1990. Quelle: BArch DA 1/BA: 11299, Bd. 36, Bl. 459-487.
Weitere Debatten zum Thema „Verfassung“
- weiterlesen
VERFASSUNG | Debatte im Bundestag 1989 – 1990
- weiterlesen
VERFASSUNG | Debatte am Zentralen Runden Tisch 1989 – 1990
- weiterlesen
VERFASSUNG | Debatte in der Volkskammer 1990
- weiterlesen
VERFASSUNG | Debatte im Bundestag 1990 – 1992