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VERMÖGEN

Bundestag 1989 – 1990

Auch der Umgang mit Vermögenswerten spielte bei der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in SBZ und DDR eine große Rolle. Das Thema betraf nicht nur die Bürgerinnen und Bürger der DDR, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik persönlich, die beispielsweise durch eine Übersiedlung in den Westen ihre Immobilien auf dem Gebiet der DDR verloren hatten. Aber auch die Frage nach dem Verbleib des Parteivermögens der SED und der Blockparteien sowie die Arbeit der Treuhandanstalt bewegten die Gemüter in der Bundesrepublik bereits vor Herstellung der deutschen Einheit.

Die Frage nach dem Umgang mit den Parteivermögen

Die Vermögen der DDR-Parteien

Sowohl die SED als auch die Blockparteien Ost-CDU, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) hatten sich in der DDR unrechtmäßig bereichert. Die Frage, was mit den Vermögenswerten der Parteien im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit geschehen sollte, beschäftige den Bundestag ab Sommer 1990. Die SPD und DIE GRÜNEN forderten, dass Vermögen zum Zwecke der Allgemeinheit heranzuziehen. So etwa zur Begleichung der Staatsschulden der DDR.

Lothar de Maizère, Eberhard Diepgen und Volker Rühe im Gespräch

Lothar de Maizière (ab März 1990 DDR-Ministerpräsident, CDU) im Gespräch mit Volker Rühe (Generalsekretär der bundesdeutschen CDU) und Eberhard Diepgen  (1984-1989 und 1991-2001 Regierender Bürgermeister von Berlin) im November 1989. Im Laufe des Jahres 1990 fusionierte die ostdeutsche CDU mit der bundesdeutschen CDU.

Ab August 1990, als sich am Horizont bereits die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl im Dezember 1990, mehrere Landtagswahlen und die Fusion von ehemaligen Blockparteien mit den westdeutschen Parteien CDU und FDP abzeichnete, trat ein anderer Aspekt in der Debatte um das Parteivermögen der SED und der ehemaligen Blockparteien in den Vordergrund:

Das Grundgesetz regelt unter Artikel 21 Abs. 1 die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Hier ist zu lesen: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben.“

Die SPD sah die Chancengleichheit im gesamtdeutschen Bundestagswahlkampf gefährdet, wenn die Vermögenswerte der Blockparteien durch den Zusammenschluss auf die CDU und die FDP übergehen sollten. Die SED wie auch die Blockparteien verfügten über Beteiligungen an Zeitungen, Verlagen und einer auf dem Gebiet der noch bestehenden DDR gut ausgebauten technischen und personellen Infrastruktur. Die in der DDR neugegründeten Parteien hingegen – wie die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP, später SPD), die Deutsche Soziale Union (DSU) und die Parteien der Bürgerrechtsbewegung –verfügten nicht über dieselben Möglichkeiten, was sich auf die Erfolgsaussichten des Wahlkampfs auswirken würde. Die SPD stellte aus diesem Grund den Antrag, der Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, durch Vereinbarungen mit der DDR-Regierung sicherzustellen, dass die bisher nicht erfüllten Aufträge der Volkskammer vom 31. Mai 1990 zur Sicherstellung und Einziehung des in 40 Jahren angehäuften Vermögens der SED/PDS und der ehemaligen Blockparteien so rechtzeitig umgesetzt werden würden, dass die Chancengleichheit bei den Landtagswahlen und der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl nicht beeinträchtigt werde.

Auch DIE GRÜNEN monierten die fehlende Chancengleichheit im Wahlkampf in einem Antrag und forderten, dass die Parteivermögen für eine Umwelt- und Sozialstiftung zur „sofortigen Verbesserung der ökologischen und sozialen Lebensbedingungen in den Ländern der DDR sowie zur Anschubfinanzierung der Altersmindestrente in der DDR“ verwendet werden sollten.

Schließlich griffen die Fraktionen CDU/CSU und FDP das Thema in einem eigenen Antrag auf. Darin ist zu lesen: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei der Regierung der DDR darauf hinzuwirken, daß die Aufträge der Volkskammer vom 31. Mai 1990, betreffend die Vermögenswerte aller Parteien und Massenorganisationen, so umgesetzt werden, daß die Chancengleichheit bei den bevorstehenden Wahlen nicht beeinträchtigt wird.“ Der Antrag enthielt eine Auflistung aller bereits in der DDR initiierten Maßnahmen, eine Lösung hinsichtlich der Parteivermögen zu erzielen. Unter anderem hatte die Volkskammer die Einsetzung einer Unabhängigen Kommission zur Überprüfung der Vermögen der Parteien ins Leben gerufen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen forderte, dass deren Arbeit nach Herstellung der deutschen Einheit weitergeführt werden müsse.

In der Debatte am 9. August 1990 wurde der Antrag der Koalitionsfraktionen angenommen.

  • „Die Treuhandanstalt gibt den früheren Besitzern zurück, was ihnen weggenommen worden war. Sie wird den alten Blockparteien und Organisationen das belassen, was sie – ich füge hinzu: ausnahmsweise – unter Anlegung unserer rechtsstaatlichen Maßstäbe redlich und ehrlich erworben haben; das ist vernünftig. Der Rest […] wird, wie gesagt, für gemeinnützige Zwecke und den Wiederaufbau in der DDR verwendet.“

    Herta Däubler-Gmelin (SPD),
    Deutscher Bundestag, 11/222, 5.9.1990, S. 17498.
  • „Es kann niemand verschweigen, daß es in der DDR bei den damaligen Blockparteien auch unrechtmäßig und rechtlich nicht mehr nachprüfbar erworbenes Vermögen gegeben hat. Dies kann nicht Vermögen der FDP werden. […] Es kann ebensowenig verschwiegen werden, daß es bei den Parteien drüben — sowohl der NDPD als auch der LDPD — im Laufe der Jahre auch rechtmäßig erworbenes Vermögen gegeben hat und daß es […] auch Vermögen gab, das legal übergegangen ist.“

    Wolfgang Lüder (FDP),
    Deutscher Bundestag, 11/219, 8.8.1990, S. 17366.
  • „Schon jetzt benutzen Sie das Vermögen, das Sie als Ost-CDU unrechtmäßig erworben haben, um den Startvorteil in der DDR zu nutzen. […] Ich sage Ihnen: Welcher Bürger in der Bundesrepublik Deutschland kann verstehen, daß Sie ihm Opfer abverlangen, wenn gleichzeitig Milliarden und Milliarden in den Händen von SED/PDS und Ost-CDU bleiben dürfen? Das ist nicht erlaubt.“

    Ingrid Matthäus-Maier (SPD),
    Deutscher Bundestag, 11/220, 9.8.1990, S. 17422.

Auch im Einigungsvertrag wurde festgehalten, dass die Regelungen, die die Volkskammer zuvor hinsichtlich der Parteivermögens getroffen hatte, im vereinigten Deutschland weitergeführt werden sollten. Es gab jedoch auch kleine Änderungen: Die Unabhängige Kommission zur Überprüfung der Vermögenswerte der Parteien sollte der Rechtsaufsicht der Bundesregierung unterstellt und um sechs weitere Mitglieder erweitert werden. Die SPD hatte im September einen Antrag gestellt, der die Beteiligung der Gewerkschaften an diesen sechs neuen Stellen gefordert hatte. Dem entsprach eine Beschlussempfehlung des Ausschusses deutsche Einheit. Der Einigungsvertrag regelte zudem, dass die gesamte treuhänderische Verwaltung des Vermögens der Partei- und Massenorganisationen der DDR der Treuhandanstalt übertragen werden sollte. Sie sollte sich darum kümmern, dass das Vermögen den früher berechtigten Eigentümern zurückgegeben wird. Die Parteien und Massenorganisationen sollten nur das behalten dürfen, was sie nach rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne des Grundgesetzes, das jetzt für Ost- und Westdeutschland galt, erworben hätten. Das verbleibende Vermögen sollten zudem die neuen Bundesländer für „gemeinnützige Zwecke“ erhalten.

Ab dem 3. Oktober 1990 erfasste und verwaltete die „Treuhandanstalt, Direktorat Sondervermögen“ nun das Vermögens der Parteien und Massenorganisationen, während die Unabhängige Kommission das Vermögen auf ihren rechtmäßigen Erwerb hin ermittelte und überprüfte. Die Kommission war ab 3. Oktober 1990 paritätisch mit Ost- und Westdeutschen besetzt. Sieben Mitglieder des 16-köpfigen Gremiums waren aus der alten DDR-Kommission bis zuletzt dabei. Unterstützt wurde die Kommission in ihrer alltäglichen Arbeit ab Ende 1990 durch ein ständiges Sekretariat, das im Wesentlichen die Vermögensermittlungen übernahm und Entscheidungen der Kommission vorbereitete. Insgesamt gelang es der Kommission, bis zu ihrer Auflösung am 31. Dezember 2006 mehr als 1,6 Milliarden Euro sicherzustellen. Davon stammten 1,2 Milliarden Euro aus dem Vermögen der SED.

Gebäude mit Parkanlage

Zum Vermögen der SED gehörten auch zahlreiche Immobilien, wie die hier abgebildete Anlage am Müggelsee.

Dokumente

Der Umgang mit dem Volkseigentum und die Treuhandanstalt

Der Umgang mit dem Volkseigentum und die Treuhandanstalt

Die bereits am Zentralen Runden Tisch und in der letzten und freigewählten Volkskammer kontrovers geführte Debatte um den Umgang mit dem volkseigenen Vermögen bzw. die Gründung und Aufgabenstellung einer Treuhandanstalt fand erst Eingang in das westdeutsche Parlament durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Wirtschafts- und Währungsunion im Frühsommer 1990. Zwar waren bundesdeutsche Akteurinnen und Akteure in die Entwicklungen rund um den Umgang mit dem volkeigenen Vermögen von Beginn an involviert, doch die Verhandlungen spielten sich alle auf Regierungsebene ab. Der Vertrag zur Währungs- und Wirtschaftsunion legte fest, dass das volkseigene Vermögen „vorrangig für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushalts in der Deutschen Demokratischen Republik zu nutzen“ sei.

Die von Bündnis 90/Grüne und Teilen der SPD in der Volkskammer vertretene Meinung, das Volkseigentum müsse mittels Anteilsrechten auf die Bürgerinnen und Bürger der DDR verteilt werden, fand im Bundestag lediglich Unterstützung durch die Fraktion DIE GRÜNEN. Im Juni 1990 forderten sie in einem Entschließungsantrag, dass Belegschaften die Möglichkeit erhalten sollten, durch Anteilsrechte Eigentum an ihren Betrieben zu erwerben und so „demokratische Mitbestimmungsmodelle“ zu verwirklichen. Dieses Anteilsrecht wurde zwar im Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion nicht verneint, aber dort wurde die vorrangige Nutzung zur Sanierung der Wirtschaft und des Staatshaushalts der DDR festgelegt. Der Staatsvertrag führe daher, so DIE GRÜNEN, zu einer „Volksenteignung in bisher nie dagewesenem Ausmaß“. Auch im Zuge der Debatte um den Einigungsvertrag ergriffen DIE GRÜNEN die Initiative und forderten, dass Bürgerinnen und Bürger der DDR bei der Übernahme von Betrieben und Wohnimmobilien zum Eigenbedarf besonders zu unterstützen seien. Mit diesen Vorstellungen konnten DIE GRÜNEN sich in den bestehenden Mehrheitsverhältnissen im Bundestag jedoch nicht durchsetzen.

Die Arbeit der Treuhandanstalt spielte in den Debatten des Bundestags bis zur Herstellung der deutschen Einheit eine eher untergeordnete Rolle. Hin und wieder gingen einzelne Abgeordnete auf das Thema ein. So schilderte beispielsweise Gerald Häfner (DIE GRÜNEN) im Sommer 1990 die schwierige soziale und wirtschaftliche Lage in der DDR und kritisierte die Arbeit der Treuhandanstalt, die eher dazu diene, die DDR-Betriebe zu liquidieren, anstatt sie zu sanieren.

Im weiteren Verlauf der Debatte um den Einigungsvertrag im September 1990 ging es zunächst hauptsächlich um den personellen Aufbau der Treuhandanstalt. So forderte die SPD eine Beteiligung der Gewerkschaften am Vorstand und Verwaltungsrat der Treuhand. DIE GRÜNEN kritisierten, dass nach dem Einigungsvertrag der Vorsitzende und der Verwaltungsrat der Treuhand von der Bundesregierung ohne parlamentarische Kontrolle eingesetzt werden könne. Auch die personelle Aufstellung der Treuhandanstalt mit Detlev Rohwedder an der Spitze und einer „illustren Runde weiterer Konzernmanager“ stieß in den Reihen der GRÜNEN auf Widerstand. Auch sie forderten die Beteiligung von Gewerkschaften der DDR sowie Umwelt- und Verbraucherverbände. Außerdem müssten „demokratische Unternehmensinitiativen“ gefördert werden. Als Beispiel nannte Eckhard Stratmann-Mertens (DIE GRÜNEN) die Initiative der Betriebsbelegschaft des Robotron-Werks im thüringischen Sömmerda, die ihren Betrieb übernehmen wollten.

Mitte September 1990 sprach sich auch der Ausschuss deutsche Einheit in einer Beschlussempfehlung zum Einigungsvertrag dafür aus, dass bei der Besetzung des Verwaltungsrats der Treuhandanstalt Arbeitnehmerinteressen ausreichend Berücksichtigung finden müssten. Diese Empfehlung wurde mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP angenommen.

  • In der Mitte: Detlev Rohwedder, ab 1990 Vorsitzender und ab Januar 1991 bis zu seiner Ermordung im April 1991 Präsident der Treuhandanstalt. Neben ihm die Vorstandsmitglieder: Birgit Breuel (nach Rohwedders Ermordung Präsidentin der Treuhandanstalt) und Gunther Halm. Aufnahme von 1991.
    Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Paul Glaser

  • „Die Treuhandanstalt wird letztlich das Nadelöhr sein. Hier wird sich entscheiden, wie groß die Gruppe derjenigen Betriebe ist, die zwar im Moment nicht wettbewerbsfähig sind, die aber durch Sanierungsmaßnahmen erhalten werden können, und welche Betriebe andererseits auch durch Sanierungsmaßnahmen keine Chance haben.“

    Helmut Haussmann (Bundesminister der Wirtschaft),
    Deutscher Bundestag, 11/217, 21.6.1990, S. 17211.
  • „Sanieren, so hat uns im Ausschuß Deutsche Einheit Graf Lambsdorff gesagt, stehe übrigens gar nicht zur Debatte. Liquidieren nicht sanieren sei die Aufgabe der Treuhandanstalt, die jetzt die Verantwortung für die Betriebe in der DDR trägt. Das ist der Geist, in dem diese Einheit betrieben wird! Diese katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage in der DDR ist nicht gottgegeben, sie ist menschengemacht.“

    Gerald Häfner (DIE GRÜNEN),
    Deutscher Bundestag, 11/219, 8.8.1990, S. 17367.
  • „Die Treuhandanstalt muß schnell voll funktionsfähig werden. Sie hat die wichtige Aufgabe, die sanierungsfähigen Betriebe herauszufinden, ihnen über die Liquiditätsklemme der nächsten Monate zu helfen und dabei gleichzeitig zu sortieren, wem nicht mehr geholfen werden kann und welche Betriebe geschlossen werden müssen. […] es ist besser, jetzt schnelle und scharfe Schnitte zu machen und den Betroffenen Arbeitslosengeld zu zahlen, als ihnen vorzugaukeln, ihre Betriebe könnten noch einmal rentabel werden.“

    Otto Graf Lambsdorff (FDP),
    Deutscher Bundestag, 11/220, 9.8.1990, S. 17387.

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Die Frage nach den „offenen Vermögenswerten“

Die Frage nach den „offenen Vermögenswerten“

Eine Frage, die das bundesdeutsche Parlament bereits vor Herstellung der deutschen Einheit beschäftigte, waren die sogenannten „offenen Vermögenswerte“. Doch was verstand man darunter, wie waren sie entstanden und warum interessierten sich so viele Bundesbürgerinnen und -bürger dafür?

Ungefähr 3,5 Millionen Deutsche hatten zwischen 1945 und 1990 die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) bzw. die DDR verlassen. Viele waren noch vor dem Mauerbau 1961 in den Westen geflohen. Das Eigentum der Übersiedlerinnen und Übersiedler (z. B. Immobilien oder Unternehmen) war damals von der DDR faktisch enteignet worden. Der Grundbesitz oder die Immobilien wurden dann mitunter anderen Personen zur Nutzung übertragen. Aufgrund einer Vielzahl von Regelungen in der DDR waren die Enteignungsverfahren im Einzelfall jedoch sehr unterschiedlich, das erschwerte eine gesetzliche Regelung im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit. Gleichzeitig sahen nun viele Alteigentümerinnen und -eigentümer, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik hatten, den Augenblick gekommen, endlich die Rückgabe ihres Eigentums zu fordern.

Zur Problemstellung hinsichtlich der offenen Vermögenswerte kam hinzu, dass die DDR es verweigert hatte, den während des Nationalsozialismus enteigneten Personen ihre Vermögenswerte zurückzuerstatten. Im Verlauf des Jahres 1990 wandten sich daher zahlreiche NS-Verfolgte an die Regierungen der beiden deutschen Staaten und forderten eine Rückerstattung ähnlich dem in den westlichen Besatzungszonen praktizierten Rückerstattungsrecht der Alliierten.

Diese Ausgangslage führte zu großen Verunsicherungen in der Bevölkerung der DDR. Viele befürchteten, ihr erworbenes oder vertrautes Lebensumfeld zu verlieren bzw. aufgeben zu müssen.

Wie reagierte die Politik hinsichtlich der geschilderten Problemlage? Schon im Dezember 1989 vereinbarte Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow hierzu die Einsetzung einer gesamtdeutschen Arbeitsgruppe. Diese nahm im Februar 1990 ihre Arbeit auf und intensivierte sie nach der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990. Am 15. Juni 1990 wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppe in der „Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen“, die die Eckpunkte der späteren Regelung der offenen Vermögenswerte skizzierte, veröffentlicht.

Die Gemeinsame Erklärung floss als eigener Bestandteil in den deutsch-deutschen Einigungsvertrag ein. Als große Maxime zur Lösung der offenen Vermögensfragen wurde dort das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ festgelegt. Hier setzte sich die bundesdeutsche Seite – im Sinne der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP – durch. Die bundesdeutschen Oppositionsfraktionen SPD und DIE GRÜNEN hingegen wollten der Entschädigung den Vorrang geben. Ebenso votierte auch die DDR-Seite.

Abweichungen vom Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ gab es jedoch aus unterschiedlichen Gründen. So gab es Fälle, in denen während der 40 Jahre DDR Dritte bereits Rechte an z.B. Immobilien erworben hatten. Hier musste eine Abwägung vorgenommen werden zwischen dem Restitutionsinteresse des Alteigentümers bzw. der Alteigentümerin und des Bestandsschutzinteresses des Rechteinhabers bzw. der Rechteinhaberin. Letztere konnten sich in einem derartigen Verfahren nur durchsetzen, wenn sie sich beim Erwerbsvorgang „redlich“ – also nach den damals (!) geltenden Gesetzen – verhalten hatte. Nach dem Einigungsvertrag war die „Redlichkeit der Person“ jedoch dann nicht ausschlaggebend, wenn der Kauf der Immobilie nach dem Stichtag des 18. Oktober 1989 (der Absetzung Erich Honeckers) erfolgt war. Diese Stichtagsregelung bezog sich auf die Umbruchszeit ab Herbst 1989, als zahlreiche Immobilien und weitere Vermögenswerte durch staatliche Stellen der DDR veräußert worden waren. Des Weiteren wurde etwa auch auf eine Rückgabe verzichtet, wenn Grundstücke oder Immobilien für dringende Investitionszwecke benötigt wurden oder ein öffentliches Interesse an der Nutzung bestand. In diesen Fällen war eine Entschädigung der Alteigentümer vorgesehen.

Auch die bereits in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) – also zwischen 1945 und 1949 – erfolgten Enteignungen konnten nicht rückgängig gemacht werden. Die im Zuge der unter sowjetischem Besatzungsrecht durchgeführten Bodenreform Enteigneten erhielten Ausgleichsleistungen.

Erst in den Beratungen zum Einigungsvertragsgesetz im August und September 1990 erhielt das Thema Eingang in die Debatten des Bundestags. Besonders in den Reihen der CDU/CSU begründeten mehrere Abgeordnete am 20. September 1990 – dem Tag der Abstimmung über den Einigungsvertrag –, dass sie dem Vertragswerk aufgrund der festgelegten fehlenden Rückgabe von während der SBZ enteigneten Vermögenswerten nicht zustimmen könnten. Sie sahen in der Regelung eine Billigung des durch die sowjetische Besatzungsmacht vorgenommenen Unrechts.

 

Wolfgang Schäuble (Bundesminister des Innern) geht auf die Regelungen im Einigungsvertrag hinsichtlich der „offenen Vermögenswerte“ ein. Bundestagsdebatte vom 5.9.1990. Quelle: Deutscher Bundestag

 

Wolfgang Mischnick (FDP) plädiert für eine Aufarbeitung der Enteignungen in der SBZ. Bundestagsdebatte vom 20.9.1990. Quelle: Deutscher Bundestag

  • „Wer als Grundsatz den Vorrang der Entschädigung vor die Rückgabe des enteigneten Eigentums setzt, der sanktioniert das, der enteignet noch einmal. […] Für die Zeit von 1949 bis 1989 oder 1990 gilt der Grundsatz: Vorrang der Rückgabe vor Entschädigung. Dabei schützen wir redlich erworbene Rechte. Niemand wird aus seiner Wohnung, aus seinem Eigenheim, aus seiner Datscha […] vertrieben werden; wohl aber […] wollen wir diejenigen vertreiben, die seit dem Fall der Mauer in dreister SED/PDS-Kumpanei volkseigenen Grundbesitz zu Schleuderpreisen an sich gebracht haben.“

    Otto Graf Lambsdorff (FDP),
    Deutscher Bundestag, 11/222, 5.9.1990, S. 17511 f.
  • „Jeder weiß, daß hier eine unendliche Fülle von Tatbeständen geregelt wird, die unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit für jeden von uns nur schwer zu ertragen sind. Dennoch sage ich: Wir müssen mit diesem Vertrag […] nach vorne schauen. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Wir können auch nicht Unrecht bei Enteignungen rückgängig machen, sondern wir müssen schauen, daß wir befriedende Lösungen finden und zugleich nach 40 Jahren Teilung eine Chance haben, die Zukunft zu gewinnen.“

    Wolfgang Schäuble (Bundesminister des Innern),
    Deutscher Bundestag, 11/226, 20.9.1990, S. 17819.

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