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Volkskammer 1990

Am 18. März 1990 konnten die Bürgerinnen und Bürger der DDR erstmals in freier Wahl ihr Parlament bestimmen. Die erste und zugleich einzige frei und demokratisch gewählte Volkskammer der DDR trat am 5. April 1990 im Palast der Republik in Ost-Berlin zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Zwischen April und Oktober 1990 trafen sich die Abgeordneten der Volkskammer der DDR insgesamt zu 38 Sitzungen, verabschiedeten 164 Gesetze und fassten 93 Beschlüsse.

Lothar de Maizière gibt Sabine Bergmann-Pohl die Hand.

Lothar de Maizière gratulierte Sabine Bergmann-Pohl zur Wahl zur Präsidentin der Volkskammer am 5. April 1990.

Die erste und zugleich einzige frei und demokratisch gewählte Volkskammer der DDR trat am 5. April 1990 im Palast der Republik in Ost-Berlin zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Der 10. Volkskammer gehörten (inklusive der Nachrücker) insgesamt 409 Abgeordnete an. Zur Präsidentin der Volkskammer wurde im zweiten Wahlgang die CDU-Abgeordnete Sabine Bergmann-Pohl gewählt. Symbolträchtig nahm die Volkskammer ihre Arbeit auf: In einem Antrag aller Fraktionen bekannten sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in einer gemeinsamen Erklärung zur „Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte“.

Zwischen April und Oktober 1990 kam die Volkskammer der DDR insgesamt zu 38 Sitzungen zusammen. In den 26 Wochen ihres Bestehens berieten die Abgeordneten über 759 Kabinettsvorlagen, beschlossen 164 Gesetze und verabschiedeten 93 Beschlüsse. Mit diesem enormen Arbeitspensum wurde unter hohem Zeitdruck der Weg zur deutschen Einheit aktiv gestaltet. Am 2. Oktober 1990 kam die Volkskammer zu ihrer letzten Sitzung zusammen.

Einführungsrede von Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl am 5. April 1990.
Quelle: Deutscher Bundestag.

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Freie Volkskammerwahlen in der DDR

Freie Volkskammerwahlen in der DDR

Mit den freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 änderte sich der Charakter des DDR-Parlaments grundlegend. Unter der SED-Diktatur war die Volkskammer ein Scheinparlament gewesen, das bis zur Friedlichen Revolution im Herbst 1989 den Entscheidungen und Beschlüssen der Partei- und Staatsführung nur zustimmen durfte. Bis zur Friedlichen Revolution gehörten der Volkskammer neben den Abgeordneten der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED) und mehreren von ihr dominierten Massenorganisationen auch Vertreterinnen und Vertreter der vier sogenannten Blockparteien „Christlich-Demokratische Union“ (CDU), „Demokratische Bauernpartei Deutschlands“ (DBD), „Liberal-Demokratische Partei Deutschlands“ (LDPD) sowie „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NDPD) an. Mit dem politischen Umbruch wandelte sich die Volkskammer zu einem demokratischen Parlament und auch das Parteiensystem in der DDR veränderte sich grundlegend. Die bisherigen Blockparteien lösten sich aus der Abhängigkeit der SED, die seit Anfang 1990 den Namen „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS) führte. Zudem gründeten sich neue Gruppierungen und Parteien, die aus der Oppositionsbewegung entstanden waren, wie das „Bündnis 90“, ein Zusammenschluss aus „Neues Forum“, „Initiative Frieden und Menschenrechte“ sowie „Demokratie Jetzt“.

Wahlplakate im März 1990 / Verfassungsdebatte am Zentralen Runden Tisch.

Wahlplakate während des Wahlkampfes im März 1990.

Zur Volkskammerwahl im März 1990 waren sowohl Parteien als auch politische Vereinigungen zugelassen. Eine Sperrklausel gab es nicht. Die Wahlbeteiligung betrug 93,4 %. Klarer Wahlsieger wurden mit rund 48 % die Parteien der „Allianz für Deutschland“, in der sich CDU (Ost), Demokratischer Aufbruch (DA) und Deutsche Soziale Union (DSU) zusammengeschlossen hatten. Sie hatten im Wahlkampf für eine zügige Währungsunion und eine schnelle Verwirklichung der deutschen Einheit geworben. Zweitstärkste Kraft wurde die lange Zeit in den Umfragen führende Sozialdemokratische Partei in der DDR (SPD) mit 21,8 %, gefolgt von der PDS mit 16,3 % und dem „Bund Freier Demokraten“ mit 5,3 %. Das „Bündnis 90“, das zu den eigentlichen Initiatoren und Gestaltern der Friedlichen Revolution gehörte, erzielte nur 2,9 % der Stimmen. Somit wurde am 12. April 1990 der Spitzenkandidat der CDU, Lothar de Maizière, von der Volkskammer zum Ministerpräsidenten gewählt. Es entstand eine Koalitionsregierung aus den Parteien der „Allianz für Deutschland“, dem „Bund Freier Demokraten“ und der SPD.

  • Lothar de Maizière (CDU) wurde in der Volkskammer am 12. April 1990 zum Ministerpräsidenten der DDR gewählt.
    Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0412-447/Karl-Heinz Schindler.

  • Lothar de Maizière (vorn, 3.v.r.) und 21 Mitglieder seines Regierung nach der Wahl vor dem Sitz der Volkskammer am 12. April 1990.
    Quelle: Bundesarchiv, Bild-183-1990-0412-029/Klaus Oberst.

  • Ministerpräsident Lothar de Maizière und sein Innenminister Peter-Michael Diestel (r.) bei einer Sitzung des Ministerrates am 6. September 1990.
    Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0926-015/Bernd Settnik.

Zusammensetzung und Arbeitsorganisation

Zusammensetzung und Arbeitsorganisation

Personell war die Volkskammer nahezu vollständig neu aufgestellt. Nur 13 der 409 Abgeordneten waren bereits zu einem früheren Zeitpunkt Mitglieder der Volkskammer gewesen. Die Neuaufstellung spiegelte sich dann auch in der sozialen Zusammensetzung der Volkskammer wider: Am häufigsten vertreten waren die Berufsgruppen der Ingenieure, Pädagogen, Ärzte, Natur- und Geisteswissenschaftler. Der Akademikeranteil der Abgeordneten der Volkskammer lag bei 86,1 %. Im Vergleich zu anderen demokratischen Parlamenten war die Volkskammer hingegen ein „junges“ Parlament. Die Abgeordneten waren im Durchschnitt 44,8 Jahre alt. Der Frauenanteil betrug 19,8 %.

Die meisten der neuen Abgeordneten wechselten direkt aus ihren Berufen in die Volkskammer und verfügten daher über keinerlei parlamentarische Erfahrung. Es blieb nur wenig Zeit, sich mit den organisatorischen Abläufen vertraut zu machen. Erschwerend kam hinzu, dass es praktisch keine parlamentarische Infrastruktur gab. Bis 1989 tagte die Volkskammer üblicherweise nur zwei- bis dreimal jährlich, um die Entscheidungen der Staats- und Parteiführung zu bestätigen. Eine umfassende Parlamentsverwaltung, die die Abgeordneten bei ihrer Arbeit unterstützte, war deshalb nicht vorhanden.

Im April 1990 standen darüber hinaus im „Palast der Republik“ nicht genügend Besprechungsräume und Büros für alle Abgeordneten zur Verfügung. Um der Raumnot abzuhelfen, übernahm die Volkskammer große Teile des Hauses des SED-Zentralkomitees. Dorthin wich die Volkskammer für ihre letzten Sitzungen auch aus, als am 19. September 1990 der „Palast der Republik“ wegen zu hoher Asbestbelastung geschlossen werden musste.

Außenansicht des Palastes der Republik

Die Arbeit der Volkskammer wurde auch von der Presse begleitet. Hier sind Übertragungswagen der Fernseh- und Hörfunks auf dem Parkplatz vor dem Palast der Republik im April 1990 zu sehen.

  • Gregor Gysi (PDS) erinnert sich an die Zusammensetzung der Volkskammer.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

  • Werner Schulz (Bündnis 90/Grüne) berichtet, wie er die Arbeitsbedingungen für die Volkskammerabgeordneten 1990 empfunden hat.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

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Zentrale Gesetze und das Ende der Volkskammer

Zentrale Gesetze und das Ende der Volkskammer

Trotz der widrigen Arbeitsbedingungen absolvierten die Abgeordneten der 10. Volkskammer ein enormes Arbeitspensum. Insgesamt kam die frei gewählte Volkskammer zu 38 Sitzungen zusammen, die nahezu vollständig durch das Fernsehen und den Hörfunk übertragen wurden. In ihrer nur sechsmonatigen Legislaturperiode verabschiedeten die Abgeordneten 164 Gesetze und fassten 93 Beschlüsse, um den Weg zur deutschen Einheit so optimal wie möglich zu gestalten. Zu ihnen gehörte u. a. das „Gesetz zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland“ am 21. Juni 1990, das „Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS“ am 24. August 1990 sowie das „Rehabilitierungsgesetz“ am 6. September 1990. In einer Sondersitzung in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1990 beschloss die Volkskammer zudem mit 294 Stimmen bei 62 Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990.

Rainer Eppelmann (CDU/DA) erinnert sich an die Arbeitsatmosphäre in der Volkskammer.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

  • „Ich plädiere gleichwohl […] für den Meinungsstreit um der Sache willen. […] er ist ein Grundelement der Demokratie. Nachdem wir 40 Jahre – nein, eigentlich ja 57 Jahre in Diktaturen leben mußten und unter ihnen das freie Wort und die offene Debatte verpönt waren, ja das Andersdenken und Andershandeln untersagt und verfolgt wurden, ist es mehr denn je richtig und wichtig, die politische Auseinandersetzung zu suchen und sie zu fördern, nicht deswegen, weil wir Lust am Streit haben, sondern weil wir Lust haben, gemeinsam den besseren, ja den besten Weg zu suchen und zu finden.“

    Günter Krause (CDU/DA),
    Volkskammer 10/38, 2.10.1990, S. 1864.
  • „Das Unglückliche unserer Situation besteht darin, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung nicht sehen konnte, wie korrekt, wie fleißig, wie aufopfernd um die Lösung von Problemen, die Vorbereitung von Gesetzesvorlagen gerungen wurde. Hier lagen die Sternstunden der Abgeordneten. Hier wurde Parteienstreit und Parteiengezänk zurückgestellt, Schwätzer und Hohlreden hatten hier kaum Chancen. Hier gab es endlich auch die menschliche Komponente, die in den Vollversammlungen dieses Hauses so oft vermißt wurde.“

    Jürgen Schwarz (DSU),
    Volkskammer 10/35, 2.10.1990, S. 1869.

Am 28. September 1990 fand die vorletzte Sitzung der Volkskammer statt. Es war die längste Parlamentssitzung der Legislaturperiode, in der noch viele Entscheidungen zur Abstimmung kamen. Einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte dieser Parlamentssitzung war die Entsendung von 144 Abgeordneten der 10. Volkskammer in den Deutschen Bundestag, über die abgestimmt wurde. Diese Parlamentarierinnen und Parlamentarier sollten die Menschen der DDR vom Tag der Wiedervereinigung bis zur Wahl eines neuen deutschen Parlaments im Dezember 1990 vertreten.

Am 2. Oktober 1990 fand schließlich die allerletzte Sitzung der Volkskammer der DDR statt. Die rund 400 Parlamentarier kamen zum letzten Mal zu einer Festsitzung im einstigen Staatsratsgebäude zusammen. Dort wurde das erste und einzige frei gewählte Parlament in der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik feierlich verabschiedet. Am 4. Oktober 1990 tagte zum ersten Mal ein gesamtdeutscher Bundestag mit 519 Abgeordneten aus dem 1987 gewählten Bundestag und den 144 entsandten Mitgliedern der Volkskammer.

Blick auf das Plenum der Volkskammer

Insgesamt kam die frei gewählte Volkskammer, wie hier in der 3. Sitzung am 19. April 1990, zu 38 Sitzungen zusammen.

Debatten in der Volkskammer 1990