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Bundestag
1989 – 1990

1989 hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits seit 40 Jahren und 11 Wahlperioden ein demokratisch gewähltes Parlament – den Deutschen Bundestag. Er tagte in der als Provisorium angesehenen Bundeshauptstadt Bonn.

  • Die Bundesregierung wurde in der Wahlperiode 11 von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) angeführt. Das Bild zeigt Kohl (1. Reihe rechts) auf der Regierungsbank mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU).
    Quelle: Bundesregierung, B 145 Bild-00118267 / Reineke, Engelbert

  • Da der ursprüngliche Plenarsaal in der Bundeshauptstadt Bonn 1987 abgerissen worden war und der Neubau – der sogenannte Behnischbau – erst 1992 benutzt werden konnte, tagte der Bundestag in den Jahren 1986 bis 1992 im sogenannten „Alten Wasserwerk“ in Bonn.
    Quelle: Deutscher Bundestag, 2190531 / Presse-Service Steponaitis

Zusammensetzung des Bundestages

Der Bundestag
in der
Wahlperiode 11

Die stärkste Fraktion der Wahlperiode 11 war die CDU/CSU mit insgesamt 234 von 519 Sitzen. Die Oppositionsführerin SPD kam auf 193 Sitze, die FDP auf 48 und DIE GRÜNEN auf 44 Sitze. Durch den Einzug der 144 ostdeutschen Abgeordneten nach Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 änderte sich diese Zusammensetzung.

Rita Süssmuth und Wolfgang Mischnick im Gespräch

Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth im Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der FDP Wolfgang Mischnick.

Die Fraktionsvorsitzenden
  • Die Fraktionsvorsitzenden der Koalition: Links Alfred Dregger (CDU/CSU) und rechts Wolfgang Mischnick (FDP).
    Quelle: Bundesregierung, B 145 Bild-00105583 / Schambeck, Arne

  • In der Wahlperiode 11 wurde die Opposition von der SPD angeführt. Ihr Fraktionsvorsitzender war Hans-Jochen Vogel.
    Quelle: Deutscher Bundestag / Hans-Günther Oed

  • Als kleinste Fraktion waren DIE GRÜNEN im Bundestag vertreten. Das Foto zeigt die Fraktionssprecher Antje Vollmer, Helmut Lippelt und Jutta Oesterle-Schwerin bei einem Pressetermin am 30. Januar 1989 in Bonn.
    Quelle: picture alliance / Martin Athenstädt

Deutschlandpolitik der Fraktionen

Die Haltung der Fraktionen zur deutschen Einheit

Eines der größten außenpolitischen Themen Ende der 1980er Jahre war die europäische Vereinigung. Die im Grundgesetz geforderte Überwindung der deutschen Teilung war zu dieser Zeit mit dem Ziel der europäischen Einigung verschmolzen und wurde nicht separat, sondern nur im europäischen Zusammenhang diskutiert. Das trifft auf alle vier Bundestagsfraktionen – die allesamt eine europäische Vereinigung anstrebten – zu. Über die Frage, wie das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander aussehen sollte, herrschte zwischen den Bundestagsfraktionen Uneinigkeit.

Die CDU/CSU und die FDP hielten an dem im Grundgesetz festgehaltenen „Einigungsgebot“ fest. Ihr Ziel war die deutsche Einheit in Freiheit als Bestandteil einer europäischen Einigung. Die Freiheit war Voraussetzung für eine deutsche Einigung. Das hieß jedoch nicht, dass es unter der schwarz-gelben Regierung Helmut Kohls keinen Austausch mit der DDR gegeben hätte. Mitte der 1980er-Jahre gewährte die Bundesrepublik der DDR zwei Milliardenkredite, die der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) mit den Machthabern in der DDR ausgehandelt hatte. 1987 kam es zum ersten und einzigen offiziellen Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik. Bei diesem Anlass wurden auch mehrere Abkommen unterzeichnet und das gemeinsame Bestreben nach „gutnachbarschaftlichen Beziehungen“ betont.

  • „Der Kommunismus ist tot. […] Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft haben Karl Marx und seine falschen Konzepte widerlegt und besiegt.“

    Volker Rühe (CDU/CSU),
    Deutscher Bundestag, 11/156, 5.9.1989, S. 11732
  • „Die Wahrheit ist doch, meine Damen und Herren von der SPD: Sie hatten mit Mauer und Stacheldraht längst Ihren Frieden gemacht.“

    Alfred Dregger (CDU/CSU),
    Deutscher Bundestag, 11/197, 15.2.1990, S. 15116
  • „Wir setzen auf Freiheit auch dort [in der DDR] und wir lassen auch nicht ab […] von der nationalen Einheit unseres Volkes.“

    Otto Graf Lambsdorff (FDP),
    Deutscher Bundestag, 11/154, 1.9.1989, S. 11647
  • „Unser Streben nach Einheit ist keine verstaubte, rückwärtsgewandte Reichsromantik. Die Einheit ist ein in die Zukunft gerichtetes europäisches Friedensziel, nichts anderes! […] Wir trachten nach der Einheit, um — ich zitiere — ‚als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen‘. So steht es in der Präambel des Grundgesetzes. Aus diesen Worten wird deutlich, daß der eifersüchtig über seine Souveränitätsrechte wachende Nationalstaat alter Prägung nicht das Ziel unseres Einheitsstrebens sein kann.“

    Wolfgang Mischnick (FDP),
    Deutscher Bundestag, 11/173, 8.11.1989, S. 13037.
  • „Ohne daß wir den Anspruch aufgeben, die Einheit und Freiheit ganz Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu erreichen, wie wir es in der Präambel unseres Grundgesetzes verankert haben, wissen wir heute deutlicher als am Beginn dieser Republik und am Beginn Bonns als Bundeshauptstadt, daß wir dies als Teil des freien Europas nur durch Überwindung der Spaltung ganz Europas erreichen müssen.“

    Dietmar Kansy (CDU/CSU),
    Deutscher Bundestag, 11/125, 16.2.1989, S. 9144

Die SPD stand in der Tradition des „Wandels durch Annäherung“ für einen Dialog mit den DDR-Machthabern und einen engeren Austausch der beiden Staaten miteinander. Auch nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch CDU/CSU und FDP, hielt die SPD als Oppositionsführerin Kontakt zur Regierung in Ost-Berlin. In ihren Reihen war auch die Ansicht vertreten, auf die 1980/81 von Erich Honecker gestellten „Geraer Forderungen“ zumindest teilweise einzugehen und beispielsweise die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter abzuschaffen. 1987 wurde von der Grundwertekommission der SPD gemeinsam mit der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED die Schrift „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ veröffentlicht, die der DDR nicht ihre Existenzberechtigung absprach und eine offene Diskussion über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme forderte. Vonseiten der SPD wurde mit der immer wieder als „SPD-SED-Dialogpapier“ bezeichneten Schrift die Hoffnung verbunden, eine Grundlage für die Arbeit der Opposition in der DDR und bzw. oder für verbesserte Lebensverhältnisse in der DDR geschaffen zu haben.

Vor dem Mauerfall wurde seitens der Sozialdemokratie im Bundestag auch offen die Frage gestellt, ob es in einem vereinten Europa denn überhaupt noch eines gemeinsamen deutschen Staats bedürfe. Der Ehrenvorsitzende und Altbundeskanzler Willy Brandt bezeichnete 1988 die Hoffnung auf eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten gar als „Lebenslüge“ der Bundesrepublik. Diese Distanzierung der SPD vom Vereinigungsgebot des Grundgesetzes und auch das SPD-SED-Dialogpapier wurden in den Bundestagsdebatten insbesondere von der CDU/CSU nach Fall der Mauer instrumentalisiert, um die SPD deutschlandpolitisch zu diskreditieren.

Die Fraktion der GRÜNEN hingegen lehnte die deutsche Einheit vor allem vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs ab. In ihren Reihen – wie auch unter vielen Linksintellektuellen dieser Zeit, z.B. Günter Grass – wurde die Teilung als „Sühne für Auschwitz“ wahrgenommen. Auch hielten viele die Idee des Nationalstaats für überholt. Vertreterinnen und Vertreter der GRÜNEN unterhielten indes oftmals enge Kontakte zur DDR-Opposition und waren auch im Einigungsprozess nach Fall der Mauer gut über die Situation der Bürgerrechtlerinnen und -Bürgerrechtler informiert. DIE GRÜNEN verfolgten in der Umbruchszeit nach dem Fall der Mauer deutschlandpolitisch das Ziel einer Konföderation zweier unabhängiger Staaten einer Kulturnation.

Der Fall der Berliner Mauer kam trotz dieser unterschiedlichen Ansätze für alle Fraktionen überraschend.

  • „Jene Friedensordnung in Europa, die den Deutschen die Chance eines neuen Zusammenlebens eröffnen kann, ist in Ansätzen spürbar; erreicht ist sie lange nicht. Wird sie einmal erreicht sein, werden zu den bisherigen Fortschritten in der Deutschlandpolitik zahlreiche und wichtige andere hinzugekommen sein, dann werden sich die Deutschen vielleicht fragen, ob sie in einem einheitlicheren Europa eigentlich einen gemeinsamen Staat brauchen.“

    Jürgen Schmude (SPD),
    Deutscher Bundestag, 11/156, 5.9.1989, S. 11752
  • „Ich rechne zur Wiedervereinigungsrhetorik, was die CDU in ihr deutschlandpolitisches Programmpapier im Juni letzten Jahres mit den Worten geschrieben hat, die vordringlichste Aufgabe aller Politik sei die deutsche Wiedervereinigung. Mit meinem Diskussionsanstoß zur Präambel […] wollte ich klarmachen: So etwas fordert die Präambel des Grundgesetzes nicht. Sie fordert nicht die Festlegung auf solche Vorstellungen unter Ausschluß aller anderen Möglichkeiten, die den Menschen helfen könnten.“

    Jürgen Schmude (SPD),
    Deutscher Bundestag, 11/156, 5.9.1989, S. 11752
  • „Es war richtig und nützlich, die Einsichten in diesen Änderungsbedarf vor zwei Jahren in einem Dialogpapier zwischen SED und SPD festzuhalten. Da […] ging es nicht um Freundschaft oder ähnliches, sondern um das Aufschreiben von Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen.“

    Jürgen Schmude (SPD),
    Deutscher Bundestag, 11/156, 5.9.1989, S. 11751
  • „Wir brauchen nicht ein wiedervereinigtes Deutschland, sondern eine demokratische DDR.“

    Helmut Lippelt (DIE GRÜNEN),
    Deutscher Bundestag, 11/119, 19.1.1989, S. 8718
  • „Wir GRÜNEN wollen keine Wiedervereinigung, weil wir das Modell des Nationalstaates und des Einheitsstaates, und zwar gerade auch für Deutschland, für überholt halten.“

    Gerald Häfner (DIE GRÜNEN),
    Deutscher Bundestag, 11/149, 15.6.1989, S. 11057
  • „Es darf nie wieder jenes autoritäre, aggressive und brutale Deutsche Reich der Geschichte geben, unter dem die Menschen in unseren Nachbarländern im Osten und im Westen so sehr gelitten haben. Das sind wir den Kindern, Frauen und Männern schuldig, die, ohne daß wir uns zur Wehr gesetzt haben, aus unserer Mitte deportiert und ermordet worden sind. Das sind wir den mehr als 57 Millionen toten Menschen schuldig, die der von Deutschen begonnene und glücklicherweise verlorene Krieg gekostet hat. Es darf nie wieder Deutschland geben. Nie wieder Deutschland!“

    Ulrich Briefs (DIE GRÜNEN),
    Deutscher Bundestag, 11/217, 21.6.1990, S. 17280
  • „Was wir immer gesagt haben, ist doch eingetreten. Die Entwicklung hat doch uns recht gegeben und nicht denen, die die Wiedervereinigung als Lebenslüge der zweiten Republik erklärt haben. Uns hat die Entwicklung recht gegeben.“

    Rudolf Seiters (Bundesminister für besondere Aufgaben, Chef des Bundeskanzleramtes),
    Deutscher Bundestag, 11/193, 7.2.1990, S. 14839

Gerald Häfner (1987-1990 Bundestagsabgeordneter der Fraktion DIE GRÜNEN) erklärt seine persönliche Haltung und die Haltung seiner Partei zur deutschen Einheit in den Jahren 1989-1990.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Der Ausschuss Deutsche Einheit
  • Zur Herstellung der deutschen Einheit konstituierten sich nach den freien Volkskammerwahlen in der DDR im Bundestag und in der Volkskammer je ein Ausschuss „Deutsche Einheit“ unter Vorsitz der Bundestags- bzw. Volkskammerpräsidentin. Das Bild zeigt die konstituierende Sitzung des Bundestagsausschusses am 11.5.1990. V.l.n.r.: Rudolf Seiters, CDU/CSU, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts, Helmut Kohl, CDU/CSU, Bundeskanzler, Herta Däubler-Gmelin, SPD, stellvertretende Ausschussvorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, und Joseph Bücker, Direktor beim Deutschen Bundestag. Quelle: Deutscher Bundestag, 3608864 / Schüring, Werner

  • Beide Ausschüsse kamen auch zu gemeinsamen Sitzungen zusammen, um über den Weg zur deutschen Einheit zu beraten.  Das Foto zeigt die erste gemeinsame Sitzung am 23.5.1990. V.l.n.r.: Helmut Kohl, CDU/CSU, Bundeskanzler; Ausschussvorsitzende Herta Däubler-Gmelin, SPD, stellvertretende SPD-Vorsitzende; Rita Süssmuth, CDU/CSU, Präsidentin des Deutschen Bundestages; Sabine Bergmann-Pohl, CDU, Präsidentin der Volkskammer und Staatsratsvorsitzende der DDR.
    Quelle: Deutscher Bundestag, 3614313 / Oed, Hans-Günther

  • Impression der ersten gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse „Deutsche Einheit“. Die Ausschussvorsitzende Rita Süssmuth, CDU/CSU, Präsidentin des Deutschen Bundestages begrüßt Bundeskanzler Helmut Kohl, CDU/CSU. Vorne rechts: Sabine Bergmann-Pohl, CDU, Präsidentin der Volkskammer und Staatsratsvorsitzende der DDR
    Quelle: Deutscher Bundestag, 3609059 / Hans-Günther Oed

  • Impression der ersten gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse „Deutsche Einheit“ am 23.5.1990.
    Quelle: Deutscher Bundestag, 3609076 / Hans-Günther Oed

Persönlicher Bezug zur DDR

Der persönliche Bezug der westdeutschen Abgeordneten zur DDR

Welchen Bezug hatten westdeutsche Politikerinnen und Politiker vor dem Fall der Mauer überhaupt zur DDR? Hier gab es große Unterschiede, die oft aus der Biographie der Abgeordneten begründet lagen: Manche hatten Verwandte in der DDR, andere waren gar in der DDR geboren und vor dem Mauerbau in den Westen abgewandert. Wiederum andere hatten Kontakte zur DDR Opposition, oft waren diese durch die evangelische Kirche und gemeinsame Kirchentage in der DDR entstanden. Es gab unter den Abgeordneten jedoch auch Personen, die gar keinen persönlichen Bezug zur DDR hatten und auch bis zum Mauerfall nie im Osten Deutschlands gewesen waren.

  • Wolfgang Schäuble (1989-1991 Bundesminister des Innern) spricht über seine Rolle in der Deutschlandpolitik, die Haltung der Bundesregierung während der deutschen Teilung und persönliche Kontakte in die DDR.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung

  • Antje Vollmer (1989-1990 Fraktionssprecherin der GRÜNEN im Bundestag) spricht über ihre Kontakte zur DDR-Opposition, zur Rolle der evangelischen Kirche in der DDR und über ihr Bild der DDR-Gesellschaft in den 1980er-Jahren. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022

  • Rudolf Dreßler (ab 1987 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion) spricht über seine Kenntnis und seine Wahrnehmung der DDR im Jahr 1989.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung

  • Gerald Häfner (1987-1990 Bundestagsabgeordneter der Fraktion DIE GRÜNEN) spricht über seinen persönlichen Bezug zur DDR und seine Kontakte zu DDR-Oppositionellen.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung

     

Debatten im Bundestag 1989 - 1990