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Zentraler Runder Tisch 1989 -1990

Um den friedlichen Übergang von einer Diktatur in eine Demokratie zu sichern und die DDR demokratisch zu erneuern, gründete sich in Ost-Berlin am 7. Dezember 1989 auf Initiative von Bürgerrechtsgruppen der Zentrale Runde Tisch, der sich bis März 1990 nahezu wöchentlich traf.

Erstmals begegneten sich Vertreterinnern und Vertreter der SED, der Blockparteien sowie der Massenorganisationen (alte Kräfte) und Vertreterinnen und Vertretern von sieben oppositionellen Gruppierungen aus den Umfeld der Bürgerbewegung (neue Kräfte) zu einem offiziellen Meinungsaustausch.

Presse am Zentralen Runden Tisch

Die Vertreterinnen und Vertreter des Zentralen Runden Tisches, umringt von der Presse, trafen sich am 7. Dezember 1989 in Ost-Berlin zum ersten Mal.

Entstehungsgeschichte

Entstehungsgeschichte

Im Herbst 1989 erodierte die Macht der SED in der DDR. Bürgerinnen und Bürger gingen seit Wochen auf die Straße und forderten u. a. freie Wahlen, das Recht auf Mitbestimmung und Reisefreiheit. Nach dem Rücktritt Erich Honeckers von allen Staats- und Parteiämtern am 18. Oktober 1989 versuchte die SED-Führung unter Egon Krenz eilig, einen Dialog mit der Opposition zu beginnen. Die Spielregeln dafür stellte die Partei- und Staatsführung selbst auf. Doch Gesprächsangebote dieser Art lehnten die Oppositionellen zunächst ab. Durch den Zusammenbruch des Grenzregimes und den Rücktritt der Regierung Krenz wurde der Druck auf die SED immer größer. Mitte November 1989 setzten die Mitglieder der Volkskammer die letzte nicht-demokratisch legitimierte Regierung der DDR unter Hans Modrow ein.

Um den bisher weitgehend friedlichen Verlauf der Revolution nicht zu torpedieren und Kontrolle auf die Regierung ausüben zu können, beschlossen einige Oppositionsgruppen, einen Runden Tisch als Vermittlungsinstanz zwischen Regierung und Opposition ins Leben zu rufen. Am 10. November 1989, einen Tag nach der Maueröffnung, gaben verschiedene Gruppen eine gemeinsame Erklärung heraus, in der es hieß: „Angesichts der krisenhaften Situation in unserem Land, die mit den bisherigen Macht- und Verantwortungsstrukturen nicht mehr bewältigt werden kann, fordern wir, dass sich Vertreter der Bevölkerung der DDR zu Verhandlungen am Runden Tisch zusammensetzen, um Voraussetzungen für Verfassungsreform und freie Wahlen zu schaffen.“

Vorbild des Runden Tisches für die Oppositionellen war der „Runde Tisch“ in Polen, der in Warschau zwischen dem 6. Februar und dem 5. April 1989 in der Übergangsphase vom kommunistischen Regime zur demokratischen Republik tagte.

Carlo Jordan, ehemals Vertreter für die Grüne Partei (GP), erläutert, wie der Zentrale Runden Tisch im Herbst 1989 entstanden ist.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Protestplakate vor der Volkskammer

Im Herbst 1989 erodierte die Macht der SED in der DDR. Bürgerinnen und Bürger forderten u. a. freie Wahlen, das Recht auf Mitbestimmung und Reisefreiheit.

Arbeitsweise und Zusammensetzung

Arbeitsweise und Zusammensetzung

Der Zentrale Runde Tisch kam schließlich zum ersten Mal am 7. Dezember 1989 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin zusammen. Das Besondere an diesem Zentralen Runden Tisch war, dass sich auf nationaler Ebene erstmals Vertreterinnen und Vertreter der alten Kräfte von SED und den etablierten Blockparteien sowie Massenorganisationen und Vertreterinnen und Vertreter der neuen Kräfte, oppositionellen Gruppierungen aus der Bürgerbewegung, zu einem offiziellen Meinungsaustausch über die politische und gesellschaftliche Zukunft der DDR trafen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Zentralen Runden Tisches in Berlin fanden sich vom Dezember 1989 bis zum 12. März 1990 insgesamt 16 Mal zu Gesprächen zusammen. Die nahezu wöchentlichen Treffen am Montag wurden auch live im Fernsehen übertragen.

In der kurzen Zeit zwischen Mauerfall und der ersten freien Wahl in der DDR etablierte sich der Zentrale Runde Tisch als treibende Kraft für eine freiheitlich-demokratische Entwicklung der zerfallenden DDR und sicherte den friedlichen Übergang von der kommunistischen Diktatur zu einem freiheitlich-demokratischen Staat. In den Diskussionsrunden ging es zu Beginn vor allem um eine demokratische Erneuerung und Umgestaltung der DDR, nicht um ihre Abschaffung. Zentrale Anliegen waren die Vorbereitung freier Wahlen, eine demokratische Verfassung und die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. Teilnehmer wie Wolfgang Ullmann von der neugegründeten Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ bezeichneten die Runden Tische anschließend als eine „Vorschule der Demokratie“ für die DDR. Auch in anderen Bezirken, Städten und Gemeinden der DDR tagten seit Dezember 1989 auf lokaler Ebene Runde Tische, an denen die alten und neuen politischen Kräfte vertreten waren.

  • Ulrike Poppe, ehemals Vertreterin für Demokratie Jetzt (DJ), erinnert sich, welche Erwartungen sie an die Arbeit des Zentralen Runden Tisches hatte und mit welchen Arbeitsbedingungen sich die neuen Gruppierungen auseinanderzusetzen hatten.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

  • Gregor Gysi, ehemals Vertreter für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), berichtet, welche Rolle die SED und die anderen alten Kräfte am Zentralen Runden Tisch spielten.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Dokumente

Mann spricht am Zentralen Runden Tisch / Verfassungsdebatte am Zentralen Runden Tisch

Oberkirchenrat Martin Ziegler (m.), Moderator des Zentralen Runden Tisches, begrüßte die Vertreterinnen und Vertreter des Zentralen Runden Tisches zur ersten Sitzung am 7. Dezember 1989. Zusammen mit Karl-Heinz Ducke (l.) und Martin Lange (r.) moderierte er alle Sitzungen des Runden Tisches.

In der ersten Sitzung des Zentralen Runden Tisches fanden sich 16 Vertreterinnen und Vertreter der alten Kräfte ein:

  • Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED)
  • Christlich Demokratische Union (CDU)
  • Liberal Demokratische Partei Deutschlands (LDPD)
  • National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD)
  • Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD)

Neben den etablierten Kräften nahmen ebenfalls 16 Vertreterinnen und Vertreter der sieben größten neu entstanden politischen Gruppierungen teil:

  • Neues Forum (NF)
  • Demokratie Jetzt (DJ)
  • Demokratischer Aufbruch (DA)
  • Grüne Partei (GP)
  • Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM)
  • Sozialdemokratische Partei (SDP)
  • Vereinigte Linke (VL)

Bis zur zweiten Sitzung erhielten der Unabhängige Frauenverband (UFV) und die Grüne Liga (GL) sowie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) Stimmrechte, so dass es ab der zweiten Sitzung jeweils 19 Vertreterinnen und Vertreter am Zentralen Runden Tisch gab. Um den Zentralen Runden Tisch möglichst unparteiisch führen zu können, war die Leitung und Moderation an drei Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche übertragen worden: Karl-Heinz Ducke, Martin Lange und Martin Ziegler.

  • 16 Vertreterinnen und Vertreter der sieben größten neu entstanden politischen Gruppierungen nahmen am Zentralen Runden Tisch teil.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 37116-25A-TH221-LEA/Peter Leske.

  • Auch Vertreterinnen und Vertreter der Blockpartei Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) waren am Zentralen Runden Tisch vertreten.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 37209-25A-TH221-LEA/Peter Leske.

  • Wolfgang Berghofer (l.) und Gregor Gysi (r.) nahmen als Vertreter der SED-PDS am Zentralen Runden Tisch teil.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Bild-89_1207_POL-RT_03 / Klaus Mehner

  • Andere politische Gruppierungen demonstrierten während der ersten Sitzung  des Zentralen Runden Tisches um Stimmrechte zu erhalten. Aber nur der Unabhängige Frauenverband (UFV) und die Grüne Liga (GL) sowie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) durften ab der zweiten Sitzung zusätzlich teilnehmen.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Bild-DDR-Runder-Tisch-Demo-00900120 / Ann-Christin Jansson

  • Die Leitung und Moderation war an drei Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche übertragen worden: Karl-Heinz Ducke, Martin Lange und Martin Ziegler.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 37157-25A-TH221-LEA/Peter Leske.

 

Interview mit Moderator Karl-Heinz Ducke über die Arbeit am Zentralen Runden Tisch.
Quelle: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv.

Dokument

Die „Aktuelle Kamera“ berichtete am 18. Dezember 1989 über die ersten zwei Sitzungen des Zentralen Runden Tisches.

Quelle: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv.

Das Selbstverständnis des Zentralen Runden Tisches

Das Selbstverständnis des Zentralen Runden Tisches

Der Zentrale Runde Tisch wollte in seinem Selbstverständnis keine Regierungsfunktionen ausüben, sondern „Bestandteil der öffentlichen Kontrolle“ sein. Im Laufe seiner Tätigkeit nahm er jedoch faktisch aktiv am Regieren teil, indem er beispielsweise Gesetzesvorlagen erarbeitete. Er beschloss rund hundert Gesetzentwürfe. Insgesamt war das Themenspektrum der Sitzungen am Runden Tisch äußerst vielfältig. Es wurden Fragen der Sozialpolitik, der Justizreform oder des Umweltschutzes erörtert. Zudem verfasste der Zentrale Runde Tisch, vorbereitet durch die entsprechenden Arbeitsgruppen, weitreichende Konzepte zur gesellschaftlichen Ausgestaltung der deutschen Einheit und Demokratisierung der DDR, dazu zählten ein Wahl- sowie ein Parteien- und Vereinigungsgesetz für die Wahlen zur Volkskammer der DDR, eine Sozialcharta sowie ein Verfassungsentwurf.

Durch das vielfältige Meinungsbild und das Aufeinandertreffen konträrer Ansichten gestalteten sich die Verhandlungen zwischen Oppositionellen und DDR-Politikern zwar meist gesittet, aber schleppend. Die wohl schwierigste Verhandlung betraf den Umgang mit dem Erbe der Staatssicherheit. Eine der größten Leistungen der Oppositionellen am Zentralen Runden Tisch war es daher auch, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sich vollständig und kompromisslos auflöste – gegen den Willen des Ministerrats der Übergangsregierung Modrow.

  • Durch den Zentralen Runden Tisch begegneten sich Vertreterinnern und Vertreter der SED, der Blockparteien sowie der Massenorganisationen (alte Kräfte) mit Vertreterinnen und Vertretern von sieben oppositionellen Gruppierungen aus den Umfeld der Bürgerbewegung (neue Kräfte) zu einem offiziellen Meinungsaustausch.
    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 37189-25A-TH221-LEA/Peter Leske.

  • Die Vertreterinnen und Vertreter der neuen Kräfte saßen den alten Kräften gegenüber.

    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 37191-25A-TH221-LEA/Peter Leske.

  • Pressevertreterinnen und -vertreter warteten außerhalb des Sitzungsraumes auf Ergebnisse während einer langen Sitzung des Zentralen Runden Tisches.

    Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 37242-25A-TH221-LEA/Peter Leske.

Werner Schulz, ehemals Vertreter für das Neue Forum (NF), berichtet, was die Hauptforderungen des Zentralen Runden Tisches waren und wie sich die Zusammenarbeit mit den alten Kräften am Runden Tisch gestaltete.

Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung 2022.

Dokument

Die Regierung der nationalen Verantwortung

Die „Regierung der nationalen Verantwortung“

Am 15. Januar 1990 forderte Ministerpräsident Hans Modrow den Zentralen Runden Tisch auf, Mitverantwortung in der Regierung zu übernehmen. Angesichts des zunehmenden Machtverlustes der SED-PDS, der drängenden wirtschaftlichen Probleme und der wachsenden Diskussion um die deutsche Einheit wollte er mit einer „Regierung der nationalen Verantwortung“ in die weiteren Verhandlungen mit der Bundesrepublik gehen. Einige Bürgerrechtsgruppen betrachteten das Angebot nicht als ernst gemeinten Machtverzicht, sondern als rein symbolische Geste. Sie fürchteten, von der SED-PDS vereinnahmt zu werden. Die oppositionellen Gruppierungen einigten sich nach zähen Verhandlungen schließlich darauf, keine offiziellen Vertreterinnen und Vertreter in die Regierung zu entsenden, aber einzelne Personen für einen Ministerposten vorzuschlagen. Am 28. Januar 1990 stimmte der Zentrale Runde Tisch der Bildung einer „Regierung der nationalen Verantwortung“ zu und gab bekannt, dass die Oppositionsgruppen je einen Vertreter als „Minister ohne Geschäftsbereich“ in die Regierung entsenden, mit Ausnahme der Vereinigten Linken (VL).

Folgende Vertreterinnen und Vertreter am Zentralen Runden Tisch wurden im Kabinett Modrow ab dem 5. Februar 1990 zu Ministern ohne Geschäftsbereich berufen: Tatjana Böhm (Unabhängiger Frauenverband), Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch), Sebastian Pflugbeil (Neues Forum), Matthias Platzeck (Grüne Partei), Gerd Poppe (Initiative Frieden und Menschenrechte), Walter Romberg (SPD), Klaus Schlüter (Grüne Liga) und Wolfgang Ullmann (Demokratie Jetzt).

Plenum der Volkskammertagung

Am 5. Februar 1990 treten der Modrow-Regierung acht Vertreterinnen und Vertreter der außerparlamentarischen Opposition bei. Das waren v.l.n.r.: Sebastian Pflugbeil (Neues Forum), Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch), Dr. Walter Romberg (SPD), Tatjana Böhm (Unabhängiger Frauenverband), Klaus Schlüter (Grüne Liga), Matthias Platzeck (Grüne Partei), Gerd Poppe (Initiative Frieden und Menschenrechte), Dr. Wolfgang Ullmann (Demokratie Jetzt).

Die Oppositionsgruppen saßen jetzt zwar am Regierungstisch, aber die Ministerien blieben ihnen verschlossen, wodurch der Einfluss der Oppositionellen auf das Regierungsgeschehen gering bleiben musste. Am 28. Januar wurde der Termin für die Volkskammerwahlen auf den 18. März vorgezogen, ursprünglich war er für den 6. Mai vorgesehen gewesen. Mit dem Näherrücken der ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März verlor sowohl die „Regierung der nationalen Verantwortung“ als auch der Zentrale Runde Tisch zunehmend an Bedeutung. Auch das Interesse der Bevölkerung an der Arbeit des Runden Tisches ging deutlich zurück, da klar war, dass die neue Volkskammer über die Zukunft der DDR entscheiden würde und nicht der Zentrale Runde Tisch. Der Zentrale Runde Tisch tagte am 12. März 1990 zum letzten Mal. Die letzte und erste freigewählte Volkskammer nahm am 5. April 1990 ihre Arbeit auf.

Dokument

Debatten am Zentralen Runden Tisch 1989-1990